Der Prinz von Atrithau
der Inrithi wich nicht zurück, obwohl sie unvermittelt von allen Seiten bedrängt wurde. Etwas weiter entfernt rückten die Fußsoldaten der Galeoth und Tydonni mühselig weiter vor.
»Ihre Überzeugung also«, sagte Kellhus.
Cnaiür nickte. »Wenn die Geschichtssänger unsere Häuptlinge vor der Schlacht beraten, fordern sie sie auf, sich daran zu erinnern, dass alle Männer im Kampf durch Ketten, Taue oder Schnüre unterschiedlicher Länge miteinander verbunden sind. Sie nennen diese Bindungen Mayutafiüri, die Bänder des Kriegs. Das ist nur ein Bild, um die Stärke und Biegsamkeit des Angotma einer Truppe zu beschreiben. Die Kianene dort würden wir Scylvendi als Trutu Garothut bezeichnen, als Männer der langen Kette. Sie können getrennt werden, finden aber wieder zueinander. Die Galeoth und Tydonni würden wir Trutu Hirothut nennen, Männer der kurzen Kette also. Auf sich allein gestellt, würden sie kämpfen bis zum Umfallen. Nur eine Katastrophe oder Utgirkoy, Zermürbung, kann die Ketten solcher Männer, wirklich brechen.«
Sie sahen die Fanim vor den Langschwertern der Norsirai in alle Richtungen fliehen, um sich noch weiter im Westen neu zu formieren.
»Der Anführer«, fuhr Cnaiür fort, »muss Schnur, Tau und Kette des Feindes und der eigenen Männer immer aufs Neue beurteilen.«
»Also bereitet der Norden dir keine Sorgen?«
»Nein.«
Aus einem unerklärlichen Gefühl heraus, verloren zu sein, drehte Cnaiür sich abrupt nach Süden um. Die Ritter der Ainoni schienen sich aus irgendeinem Grund zurückgezogen zu haben, obwohl noch zu viel Staub die Höhen verhüllte, als dass Cnaiür sich dessen hätte sicher sein können. Die Infanterie hatte auf ganzer Linie den Anstieg fortgesetzt. Er sandte Boten zu Conphas, damit er seine Kidruhil zur Rückendeckung der Ainoni losschickte. Dann befahl er dem Hornisten, Gotian ein Zeichen zu geben, er möge…
»Da«, sagte er zu Kellhus. »Siehst du die Infanterie der Ainoni vorrücken?«
»Ja. Einige Verbände scheinen nach rechts zu driften.«
»Ohne sich dessen bewusst zu sein, beugen sich die Soldaten in den Schutz des Schildes ihres Kampfgenossen zur Rechten. Wenn die Fanim angreifen, konzentrieren sie sich auf solche Einheiten, pass auf…«
»Weil sie Schwächen in der Disziplin verraten.«
»Das kommt auf den Anführer an. Würde Conphas sie befehligen, würde ich sagen, dass sie absichtlich nach rechts driften, um die Kianene von den weniger erfahrenen Einheiten wegzuziehen.«
»Ein hübsches Täuschungsmanöver.«
Cnaiür umklammerte seinen gepanzerten Gürtel. Ein Zittern war durch seine Hände gefahren.
Alles verläuft nach Plan!
»Du musst wissen, was dein Feind weiß«, sagte er und blickte in die Ferne, um seine Miene vor Kellhus zu verbergen. »Die Bänder – die immateriellen Schnüre, Taue und Ketten also – müssen der Wucht des Angriffs entsprechend verteidigt werden. Man muss das Wissen anwenden, das man über den Feind besitzt, Tricks und Geländekenntnisse einsetzen und an das Beispiel vorbildlicher Helden appellieren, um die Bänder resistent gegen jede Attacke zu machen. Defätismus, Mutlosigkeit und Resignation darf man auf keinen Fall dulden, sondern muss das Heer dagegen immunisieren und alle derartigen Vorfälle mit Folter und Tod bestrafen.«
Was macht Setpanares?
»Weil Defätismus ansteckend ist«, sagte Kellhus.
»Die Scylvendi«, entgegnete Cnaiür, »kennen viele Geschichten über Truppen der Nansur, die bis zum letzten Soldaten gekämpft haben. Die Herzen mancher Männer brechen eben nie. Die meisten aber orientieren sich an anderen, was den Glauben anlangt.«
»Und der Verlust jeder Überzeugung bedeutet die Niederlage? Wie wir es auf dem Schlachtfeld gesehen haben?«
Cnaiür nickte. »Darum ist Cnamturu, Wachsamkeit also, die höchste Tugend eines Anführers. Die Ereignisse auf dem Schlachtfeld müssen fortwährend interpretiert werden. Alle Indizien sind immer wieder neu zu bewerten. Man darf den Gobozkoy nicht verpassen!«
»Den Augenblick der Entscheidung.«
Cnaiürs Miene verdüsterte sich, als er sich daran erinnerte, diesen Ausdruck vor Monaten – während der schicksalhaften Versammlung beim Kaiser auf den Andiamin-Höhen nämlich – flüchtig erwähnt zu haben. »Den Augenblick der Entscheidung«, wiederholte er.
Er stierte weiter auf die Hügel an der Küste und beobachtete, wie eine lange Reihe kaum zu erkennender Infanterieverbände die fernen Hänge hinaufstieg. General Setpanares hatte
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