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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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den eng gedrängten Zelten herumhetzten. Wieder waren Schreie zu hören, diesmal kurzatmig und sehr nah. Plötzlich kam eine Horde von Leuten, die zum Tross gehörten, aus den Zelten und Pavillons ringsum gerannt. Ehefrauen, Huren, Sklaven, Schreiber und Priester hetzten teils brüllend, teils mit erloschener Miene dorthin, wo anscheinend alle hinrannten. Einige schrien bei seinem Anblick und drängten nach links oder rechts. Andere nahmen keine Notiz von ihm, weil sie merkten, dass er kein Fanim war, oder weil sie wussten, dass er nur eine bestimmte Anzahl von ihnen töten konnte. Kurz darauf lichtete sich ihre Zahl. Die Jungen und Gesunden waren verschwunden, und nun arbeiteten sich die Alten und Gebrechlichen voran. Cnaiür sah Cumor, den alternden Hohepriester der Gilgaöl, den seine Schüler vorwärts drängten. Er sah viele verzweifelte Mütter verschreckte Kinder mit sich zerren. In einiger Entfernung hatte eine Gruppe von etwa zwanzig bandagierten Kriegern – vermutlich Galeoth – die Flucht aufgegeben und richtete sich darauf ein, Widerstand zu leisten. Sie begannen zu singen.
    Cnaiür hörte einen stets lauter werdenden Chor aufgeregter Triumphschreie und das Schnauben und Stampfen von Pferden.
    Er brachte seinen Rappen zum Stehen und zog das Schwert.
    Dann sah er sie zwischen den Zelten herandrängen und glaubte einen Moment lang, ein Heer durch die Brandung waten zu sehen: die Kianene von Eumarna.
    Er blickte erschrocken nach unten. Eine junge Frau mit blutgetränktem Bein und einem auf den Rücken geschnallten Kleinkind umklammerte sein Knie und flehte ihn in unbekannter Sprache an. Er hob den Stiefel, um nach ihr zu treten, senkte ihn aber unerklärlicherweise wieder, beugte sich vor, hievte sie vor sich auf den Sattel, riss seinen Rappen herum und setzte den flüchtenden Leuten vom Tross nach.
    Er hörte einen Pfeil an seinem Ohr vorbeischwirren.
     
     
    Sein goldenes Haar flatterte im Wind, und sein weißer Umhang bauschte sich.
    »Runter!«, befahl der Prophet.
    Doch Martemus war so erstaunt, dass er einfach stehen blieb. Das staubige Schlachtfeld wimmelte vor Khirgwi, die nur schattenhaft zu erkennen waren. Vor dem Ansturm ihrer Pfeile drehte der Kriegerprophet erst die eine, dann die andere Schulter weg, zog den Kopf ein und das Becken zurück, kauerte sich nieder und sprang dann hoch. Es war ein merkwürdiger Tanz, der zufällig und doch planvoll wirkte, geruhsam und atemberaubend schnell. Erst als ein Schuss Martemus in den Oberschenkel traf, begriff er, dass der Prophet dem Pfeilregen auswich.
    Der General stürzte zu Boden und hielt sich das Bein. Die ganze Welt war Heulen und Geschrei.
    Durch Schmerzenstränen sah er die Swazond-Standarte im Sonnenlicht flimmern.
    Gütiger Sejenus – ich sterbe.
    »Lauft!«, schrie er. »Ihr müsst rennen!«
     
     
    Cnaiürs Rappe schnaubte, keuchte und wieherte. Zelt für Zelt raste vorbei – gefleckt, gestreift oder aus bemaltem Leder und stets mit Stoßzahn über Stoßzahn besetzt. Die namenlose Frau in seinen Armen zitterte und versuchte vergeblich, ihr Baby anzusehen. Die Kianene kamen immer näher gedonnert, galoppierten durch die engen Gassen und breiteten sich über die wenigen offenen Plätze aus. Er hörte sie rufen und taktische Überlegungen austauschen. »Skafadi!«, riefen sie, »Jam til Skafadi!« Bald sprengten viele durch die parallelen Zeltgassen. Zweimal musste Cnaiür die Frau und ihr Kind an den Nacken des Pferds drücken, da Pfeile an ihnen vorbeizischten.
    Er hörte Schreie und begriff, dass er den flüchtenden Tross bereits überholt hatte. Überall waren plötzlich humpelnde Männer, klagende Frauen und Kinder mit aschfahlen Gesichtern zu sehen. Er lenkte sein Pferd nach links und wusste, dass die Kianene ihm folgen würden. Er war der berühmte Skafadi-Hauptmann, der mit den Götzendienern ritt. Jeder Gefangene, den er vernommen hatte, hatte von ihm gehört. Er kam auf einen der großen Exerzierplätze der Nansur, und sein Rappe sprengte mit neuem Ungestüm voran. Er zog seinen Bogen, legte einen Pfeil ein und tötete den Verfolger, der ihm am dichtesten auf den Fersen war. Sein zweiter Pfeil traf den Hals des nächstfolgenden Pferds, und ein ganzer Haufen Fanim stürzte in einer Staubwolke zu Boden.
    »Zirkirtaaaaaa!«, heulte er.
    Die Frau kreischte vor Entsetzen. Er blickte nach vorn und sah Dutzende Reiter der Fanim von Westen auf den Platz strömen.
    Er riss seinen erschöpften Rappen herum, galoppierte zum nördlichen

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