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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Eindrücke aber konnte Kellhus nur an den Pragma denken – ja, er zitterte förmlich vor Erwartung. Sie alle hatten Pragma Uän mit den älteren Jungen beobachtet und wussten, dass er unterrichtete, was die Älteren den Tanz der Glieder nannten.
    Genauer gesagt: den Tanz der Glieder in der Schlacht.
    »Was seht ihr?«, fragte der alte Mann schließlich und sah in das Laubwerk über ihnen.
    Es gab viele eifrige Antworten: Blätter. Zweige. Die Sonne.
    Doch Kellhus sah mehr. Er bemerkte abgestorbene Äste und den bedrückenden Wettlauf der Zweige und entdeckte schmale Bäume, bloße Schößlinge fast, die im Schatten der Riesen vor sich hin kümmerten.
    »Ich sehe Konflikt«, sagte er.
    »Wie meinst du das, junger Kellhus?«
    Entsetzen und Jubel flammten in ihm auf – die Leidenschaften eines Kindes. »Die Bäume, Pragma«, stammelte er. »Sie kämpfen um Platz.«
    »Allerdings«, bestätigte Pragma Uän. »Und das, Kinder, ist es, was ich euch beibringen werde: ein Baum zu sein und um Platz zu kämpfen…«
    »Aber Bäume bewegen sich nicht«, sagte ein anderer.
    »Doch, sie bewegen sich«, entgegnete der Pragma, »aber sehr langsam. Das Herz eines Baums schlägt nur einmal in jedem Frühling. Darum muss er in alle Richtungen auf einmal kämpfen und sich immer weiter verzweigen, bis er den Himmel verdeckt. Aber eure Herzen schlagen sehr oft – darum braucht ihr nicht gleichzeitig in mehrere Richtungen zu kämpfen.«
    Trotz seines hohen Alters sprang der Pragma auf die Beine und gestikulierte dann mit einem Stock.
    »Kommt alle her und versucht, meine Knie zu berühren.«
    Und Kellhus hetzte mit den anderen durch den Halbschatten. Immer, wenn der Stock ihn zurückschlug oder wegstieß, schrie er enttäuscht, aber auch verzückt auf. Fasziniert beobachtete er, wie der alte Mann tanzte und herumwirbelte und die Kinder auf den Hintern plumpsen oder wie Dachse durchs Laub rollen ließ. Nicht einem gelang es, seine Beine zu berühren. Keiner kam mit den Füßen auch nur in die Reichweite seines Stocks.
    Als siegreicher Baum war Pragma Uän der unumschränkte Besitzer eines Ortes: des Raums nämlich, der ihn umgab.
    Die Khirgwi – in zerrissene braune Gewänder gehüllte Kämpfer, deren Schilde aus lackiertem Kamelleder waren – peitschten ihre erschöpften Tiere voran und fuchtelten mit dem Krummschwert herum. Ihr Kriegsgebrüll hallte durch die Luft.
    Kellhus erhob sein Dûnyain-Schwert.
    Sie lachten und höhnten. Ihre dunklen Wüstengesichter wirkten ungemein siegessicher.
    Dann galoppierten sie dem von seinem Schwert umschriebenen Kreis entgegen.
    Cnaiür trat nach seinem Sattel und den verschmorten Resten seines Pferdes, rappelte sich aus der Asche und blinzelte angesichts des stechenden Rauchs. Vom Rauch und dem Gestank verbrannten Fleisches abgesehen, schien die ganze Welt ein einziges Dröhnen zu sein. Er konnte nichts anderes hören.
    Dann entdeckte er die verbrannten Umrisse derer, die einmal die namenlose Frau und ihr Kind gewesen waren, nahm sein Messer wieder an sich und hielt es vorsichtig am verkohlten Griff.
    Es brannte und brannte doch nicht, wie es für magisch erzeugte Hitze typisch war.
    Er zog nach Norden, an den schlaffen, mit Flüchen bestickten Pavillons der Ainoni vorbei. Banner voller Piktogramme wehten im Wind. Hinter ihm glitten Ordensmänner der Scharlachspitzen über den Himmel. Feuersäulen stiegen geräuschlos vom Boden auf. Ringsum zuckten Blitze. Er wunderte sich, dass niemand schrie.
    Und er dachte an Serwë.
    Begeisterte, verschreckte oder verblüffte Menschen umringten ihn. Sie bewegten die Lippen, doch Cnaiür hörte nur ein Dröhnen, drückte sie mit seltsam kraftlosen Armen beiseite und ging weiter.
    Etwas schmerzte in seiner Linken. Als er sie öffnete, sah er das Chorum seines Vaters. Es wirkte selbst im Sonnenlicht düster, war mit sinnlosen Schriftzeichen übersät und erinnerte an einen verrußten Augapfel aus Eisen. Zweimal hatte es ihn schon gerettet.
    Er schob es wieder unter seinen Gürtel.
    Dann hörte er einen Blitz einschlagen. Das Dröhnen schmolz zu einem schrillen, fast unhörbaren Jammern. Er blieb stehen, schloss die Augen und vernahm Schreie und Rufe, teils weit weg, teils ganz nah. Sie gaben ihm das Gefühl für Entfernungen zurück, umschrieben seinen Horizont und verschwanden im Toben der Schlacht und des Meeres.
    Nach einer Weile sah er Proyas’ reich verzierten Pavillon auf einer kleinen Kuppe stehen. Wie verwittert er nun aussieht, dachte Cnaiür mit

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