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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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zwischen Männern üblich ist, sondern eher wie ein Kind, indem er nämlich die Stirn an den Kragen des Marschalls presste. Er schluchzte zitternd, während Xinemus den Hinterkopf des Prinzen umklammert hielt und das Kinn an seinen Schädel drückte.
    »Xin«, keuchte Proyas schließlich. »Bitte vergib mir! Ich flehe dich an!«
    »Sch! Es genügt mir, Eure Umarmung zu spüren und Eure Stimme zu hören.«
    »Aber Xin! Deine Augen!«
    »Psst… Akka bekommt das schon wieder hin. Wartet nur ab.«
    Achamian zuckte bei diesen Worten zusammen. Hoffnung war nie giftiger, als wenn sie geliebte Menschen täuschte.
    Keuchend drückte Proyas seine Wange an die Schulter des Marschalls. Seine schimmernden Augen glitten zu Achamian, und einen Moment lang sahen die beiden einander fest an.
    »Und du, alter Lehrer?«, krächzte der junge Mann. »Vermagst auch du mir zu vergeben?«
    Obwohl Achamian die Frage gut verstand, schien sie von fernher zu kommen und ihr Sprecher zu weit weg, um wirklich zu zählen. Nein, er konnte nicht vergeben – und zwar nicht, weil er sich verhärtet, sondern weil er sich innerlich entfernt hatte. Er sah zwar noch den kleinen Prosha vor sich, den er einst geliebt hatte, aber auch einen Fremden, der auf fragwürdigen und streitbaren Pfaden wandelte. Einen Mann des Glaubens.
    Einen mörderischen Fanatiker.
    Wie hatte er solche Männer für seine Brüder halten können?
    Mit möglichst ausdruckslosem Gesicht sagte Achamian: »Ich bin kein Lehrer mehr.«
    Proyas kniff die Augen fest zu. Als er sie wieder öffnete, strahlten sie die alte Überlegenheit aus. Welches Elend der Heilige Krieg auch hatte aushalten müssen: Der moralisch aburteilende Proyas hatte überlebt.
    »Wo sind sie?«, fragte Achamian. Die Verhältnisse waren nun klar. Außer Xinemus hatten nur noch Esmenet und Kellhus Zugang zu seinem Herzen. Allein sie zählten noch.
    Proyas erstarrte sichtlich und schob Xinemus von sich fort.
    »Hat euch denn niemand davon berichtet?«
    »Keiner wollte uns auch nur das Geringste erzählen«, sagte Xinemus. »Sie hatten Angst, wir wären Kundschafter.«
    Achamian hatte es den Atem verschlagen. »Was ist mit Esmenet?«, fragte er keuchend.
    Der Prinz schluckte und sah bedrückt drein.
    »Die ist in Sicherheit.« Er fuhr sich mit einer Geste, die besorgt und unheilverkündend wirkte, durchs kurz geschorene Haar.
    Irgendwo brutzelte ein Docht in einer flackernden Kerze.
    »Und Kellhus?«, fragte Xinemus. »Was ist mit ihm?«
    »Ihr müsst das verstehen. Es ist sehr viel passiert.«
    Xinemus tastete in der Luft herum, als müsste er den berühren, mit dem er sprach. »Was soll das heißen, Proyas?«
    »Dass Kellhus tot ist.«
     
     
    In ganz Caraskand erinnerte nur der große Basar an die Steppe, und auch er nur ansatzweise: in seiner Flachheit nämlich und seiner Weite, die freilich von leeren Fassaden begrenzt war. Kein Gras wuchs zwischen den Pflastersteinen.
    »Der Mann, den du getötet hast, ist von dieser Welt abgetreten, Serwë«, hatte Cnaiür damals auf der Ebene von Kyranae zu ihr gesagt. »Er existiert nur noch als Narbe auf deinem Arm. Sie ist also Zeichen seiner Abwesenheit und damit auch Zeichen für all die Empfindungen, die er nicht mehr haben, für all die Taten, die er nicht mehr begehen wird. Damit ist diese Narbe auch ein Zeichen der Last, die du nun trägst.«
    Und sie hatte geantwortet: »Ich versteh das nicht.«
    Dieses Mädchen war herrlich naiv gewesen. Und so unschuldig.
    »Ich werde dich tragen«, sagte Cnaiür ins Dunkel hinein, und es schien, als habe er nie einen mächtigeren Eid geschworen. »Es wird dir an nichts fehlen, solange mein Rücken stark ist.«
    Das waren die Worte, die der Bräutigam traditionell sagte, wenn der Geschichtssänger sein Haar bei der Trauung mit dem der Braut verflocht.
    Dann hob er das Messer an seine Kehle.
     
     
    Er hing an einem großen Bronzering vom Ast eines Baums.
    Und er war an Serwë gefesselt.
    An die tote Serwë.
    Gemeinsam drehten sie sich langsam im Kreis.
    Eine Fliege lief ihr über die Wange. Er blies über ihre Haut, und das Insekt war verschwunden.
    Ihre Augen waren halb offen und trocken wie Papyrus.
    Serwë! Atme, Mädchen, atme! Ich befehle es dir!
    Er war an Serwë gefesselt.
    Was habe ich… Was?
    Ein Zucken durchfuhr ihn.
    Ich muss mich konzentrieren, muss feststellen, ob…
    Ihre weit aufgerissenen Augen blickten reglos zu den Sternen.
    Der Logos.
    Ich gehöre zu den Initiierten!
    Von den Schienbeinen bis zur Wange konnte er

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