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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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nach unten auf dem Teppich liegende Büsten offen hielten. Cnaiür nahm an, dass es sich dabei um Dioritfiguren ehemaliger Sapatishahs oder um Relikte aus der Zeit der Nansur handelte. Hinter der Tür lag ein Saal, in dem er sich bald mit vielen Adligen drängte. Die Luft schwirrte von Stimmen.
    Heulende Schwuchtel!
    Der Raum war kreisrund, weit älter als der übrige Palast, und stammte womöglich noch aus den großen Zeiten von Kyranae oder Shigek. Ein weißer Marmortisch dominierte den mit einem prächtigen Teppich voller Kupfer- und Goldstickereien ausgelegten Saal. Gleich jenseits der Fransenkante stiegen konzentrische Ränge nach Art eines Amphitheaters an und boten freie Sicht auf den Tisch. Direkt hinter dem obersten Rang stieg eine aus gewaltigen Blöcken errichtete Wand auf, die mit Leuchtern und den Gobelins der Kianene, die Bannern ähnelten, geschmückt war. Eine spitz zulaufende Kuppel bildete die Decke des Saals, ohne dass Mörtel oder Gewölberippen zu sehen gewesen wären. Im unteren Bereich der Kuppel sorgte eine Reihe von Schächten für so helles wie diffuses Licht, während hoch über dem Tisch heidnische Banner im Luftzug wehten.
    Cnaiür sah Proyas nah beim Tisch mit aufmerksam geneigtem Kopf einem stämmigen Mann in Blau und Grau zuhören, dessen Gewand an den Knien stark verschmutzt war und der im Vergleich zu den ausgehungerten Gestalten ringsum fast obszön fett wirkte. Jemand rief etwas von den Rängen, und als der Mann sich der Stimme zuwandte, waren in seinem ungeflochtenen Bart fünf weiße Strähnen zu sehen. Cnaiür mochte seinen Augen nicht trauen.
    Es war der Hexenmeister. Der tote Hexenmeister…
    Was war hier los?
    »Proyas!«, rief er, weil er ihm nicht näher kommen wollte. »Wir müssen miteinander reden!«
    Der Prinz fuhr herum. Als er den Scylvendi entdeckte, machte er ein so finsteres Gesicht wie zuvor Gaidekki. Der Hexenmeister aber redete weiter, und Cnaiür sah Proyas eine fahrige Geste machen, die ihn verscheuchen sollte.
    »Proyas!«, donnerte er, doch der Prinz hatte nur einen wütenden Blick für ihn übrig.
    Dummkopf!, dachte der Scylvendi – die Belagerung lässt sich knacken. Ich weiß, was zu tun ist!
    Das Geheimnis des Kampfs. Er hatte sich daran erinnert.
    Er setzte sich zu den Niederen Herren und ihrem Gefolge auf die Ränge und sah zu, wie die Hohen Herren mit dem üblichen Gezänk begannen. Der Hunger war so mächtig geworden, dass selbst die wichtigsten Inrithi gezwungen waren, Ratten zu essen und das Blut ihrer Pferde zu trinken. Die Anführer des Heiligen Kriegs waren hohlwangig und hager geworden, und die Kettenhemden derer, die dick gewesen waren, schlackerten am Körper und ließen ihre Träger wie Jugendliche wirken, die mit Vaters Rüstung spielten. Das sah lächerlich und zugleich tragisch aus und erinnerte an den absurden Prunk sterbender Herrscher.
    Als designierter König von Caraskand saß Saubon auf einem großen, schwarz lackierten Sitz am Kopfende des Tischs. Er beugte sich vor und hielt dabei die Armlehnen umklammert, als wäre er drauf und dran, eine Bedeutung zu demonstrieren, die niemand anerkannte. Rechts von ihm saß Conphas und sah sich mit der Gereiztheit eines Mannes um, der Unterlegene ebenbürtig behandeln muss. Links von Saubon saß Hulwarga der Hinkende, der seinen Bruder überlebt hatte und Thunyerus repräsentierte, seit Prinz Skaiyelt der Hemoplexie erlegen war. Neben Hulwarga saß Gothyelk, der ergraute Graf von Agansanor, dessen borstiger Bart wie immer ungekämmt und dessen kämpferischer Blick noch bedrohlicher war als sonst. Neben Gothyelk wiederum saß Proyas und wirkte so nachdenklich wie wachsam. Obwohl er mit dem Hexenmeister sprach, der auf einem niedrigeren Sitz schräg hinter ihm saß, wanderte sein Blick unaufhörlich über die Gesichter der Männer am Tisch. Und schließlich war da noch Chinjosa, der zurückhaltende Pfalzgraf von Antanamera, der zwischen Proyas und Conphas saß und den die Scharlachspitzen – Gerüchten zufolge – nach Chepheramunnis Hemoplexietod als Interimsherrscher von Ainon eingesetzt hatten.
    »Wo ist Gotian?«, wollte Proyas von den anderen wissen.
    »Vielleicht«, meinte Conphas mit blankem Sarkasmus, »hat der Hochmeister erfahren, dass Ihr uns zusammengerufen habt, um einen Hexenmeister anzuhören. Tempelritter, fürchte ich, neigen zu einer gewissen Unduldsamkeit in Glaubensdingen…«
    Proyas rief Sarcellus auf, der auf dem untersten Rang saß und von Kopf bis Fuß in das weiße

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