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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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und fest behauptete?
    Hast du mich darum gerufen, Vater? Um diese Kinder zu retten?
    Aber dabei handelte es sich um Grundsatzfragen, während er sich mit so vielen dringenderen Rätseln und handfesteren Bedrohungen zu beschäftigen hatte. Grundsatzfragen waren etwas für Philosophen und Priester, wie Xinemus gesagt hatte, oder – für Anasûrimbor Moënghus.
    Warum hast du noch immer keinen Kontakt zu mir aufgenommen, Vater?
    Das Feuer wurde heller, als es viele Schriftrollen verzehrte, die die Sklaven aus der Dunkelheit anschleppten. Obwohl Kellhus sich abseits hielt, spürte er, dass er zu den vor seinen Augen versammelten Adligen gehörte. Das war geradezu greifbar, und er kam sich vor wie ein Fischer, der weit ausgeworfene Netze einholt. Er bemerkte, klassifizierte und speicherte jeden flüchtigen Blick, jedes wachsame Mustern. Und er entschlüsselte jedes Gesicht.
    Ein wissender Blick von einem, der beim adligen Anhang des Proyas saß… von Pfalzgraf Gaidekki.
    Er hat mit seinen Standesgenossen lange über mich gesprochen, betrachtet mich als Rätsel und glaubt nicht daran, die Lösung zu finden. Doch ein Teil seines Wesens möchte sie gern wissen, sehnt sich sogar danach.
    Ein Blick von einem der Tydonni. Ein kurzer Augenkontakt… von Graf Cerjulla.
    Er hat die Gerüchte gehört, ist aber zu stolz auf seine Taten in der Schlacht, um etwas davon dem Schicksal zuzuschreiben. Er hat Alpträume…
    Ein flüchtiger Blick von jemandem, der hinter Ikurei Conphas saß… von General Martemus.
    Er hat viel über mich gehört, ist aber zu beschäftigt, um sich wirklich darum zu kümmern.
    Aus dem Pulk der Thunyeri traf ihn der Blick eines rothaarigen Kriegers, der in der Menge nach jemandem suchte… der Blick von Graf Goken.
    Er hat fast nichts über mich gehört. Kaum ein Thunyeri beherrscht eine Fremdsprache.
    Ein stechender und verächtlicher Blick aus den Reihen der Männer aus Conriya… von Pfalzgraf Ingiaban.
    Er spricht mit Gaidekki über mich und behauptet, ich sei ein Schwindler. Ihn interessiert nur mein Verhältnis zu Cnaiür. Auch er schläft nicht mehr.
    Ein ruhiger, fester Blick aus dem Kreis von Gotians dezimiertem Gefolge…
    Sarcellus.
    Eines der undurchdringlichen Gesichter, deren Zahl anscheinend ständig zunahm und die Achamian Hautkundschafter nannte.
    Warum starrte dieser Sarcellus ihn so an? Wegen der Gerüchte – also aus dem gleichen Grund wie die anderen? Wegen des furchtbaren Blutzolls, den seine Worte bei den Tempelrittern gefordert hatten? Kellhus war klar, dass Gotian alle Mühe hatte, ihn nicht zu hassen.
    Oder wusste Sarcellus, dass der Dûnyain ihn erkannt und zu töten versucht hatte?
    Kellhus erwiderte den starren Blick dieses Wesens. Seit der ersten Begegnung mit Skeaös auf den Andiamin-Höhen hatten sich seine Kenntnisse der merkwürdigen Physiognomie dieser Wesen verfeinert. Wo andere verunstaltete oder wunderschöne Gesichter sahen, sah er Augen zwischen verschränkten Fingern hindurchspähen. Bis jetzt hatte er elf solche Kreaturen entdeckt – allesamt als mächtige Persönlichkeiten maskiert –, hatte aber keinen Zweifel, dass es mehr waren.
    Er nickte liebenswürdig, doch Sarcellus starrte einfach ausdruckslos weiter, als sei ihm egal oder nicht bewusst, dass der, den er ansah, zurückblickte.
    Sie ahnen etwas, dachte Kellhus.
    Aus dem Augenwinkel nahm er eine leichte Unruhe wahr. Als er sich umdrehte, sah er, dass Graf Athjeäri sich durch die dichte Zuschauermenge zu ihm hochkämpfte. Kellhus beugte geziemend den Kopf, als der junge Adlige sich näherte. Der tat es ihm nach, doch seine Respektsbekundung fiel recht knapp aus.
    »Ich bitte Euch, mich hinterher zu begleiten«, sagte Athjeäri. »Zu Prinz Saubon.«
    Der auffällige Mann mit kastanienbraunem Haar schob das Kinn vor. Kellhus wusste, dass Athjeäri weder Schwermut noch Unentschlossenheit kannte und seinen Botengang auch deshalb als erniedrigend empfand. So sehr er seinen Onkel bewunderte, so dachte er doch, dass Saubon zu viel von dem verarmten Prinzen aus Atrithau hielt. Viel zu viel.
    Welcher Stolz!
    »Mein Onkel möchte sich mit Euch treffen«, sagte der Graf, als würde er ein Versehen erklären. Ohne ein weiteres Wort bahnte er sich den Weg zum Amphitheater zurück. Kellhus blickte über die Menge hinweg zu den Hohen Herren und sah Saubon nervös wegschauen.
    Seine Qual wächst, und seine Furcht wird größer, dachte Kellhus. Sechs Abende war ihm der Prinz von Galeoth nun gewissenhaft aus dem Weg

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