Der Privatdozent
Flur in Richtung Bad, als ich aus der Küche ein Geräusch höre. Ich riskiere einen Blick und sehe im ersten Morgenlicht hinter einem Berg von Aschenbechern und Bierflaschen Marek, der den Eindruck macht, als würde er schon seine dritte oder vierte Zigarette rauchen.
„Morgen”, sage ich leise.
Marek nickt nur schwach. Mir fällt auf, dass ich ihn noch nie morgens erlebt habe. Wenn er arbeiten muss, dann schlafe ich meist noch und am Wochenende pennt er immer ewig, um sich von seinen Partys zu erholen. Ich habe also keine Ahnung, ob sein Schweigen normal ist.
„Kaffee?”, frage ich und beschließe, meine Reihenfolge ein wenig abzuändern. Früher oder später muss ich mich eh den unvermeidlichen Fragen stellen.
„Mmh”, macht Marek, was wohl so was wie Zustimmung bedeuten soll.
„Alles klar?”, frage ich und erhalte wieder nur ein Brummen zur Antwort. Okay, ich verstehe, mit Marek ist morgens absolut nichts los. Als die erste Tasse durch den Apparat gelaufen ist, wechsle ich die Pads und starte den Vorgang neu. Dann gieße ich ordentlich Milch dazu und stelle Marek seinen Kaffee hin. Wer den Mund nicht aufmachen will, der hat auch keine Ansprüche an seinen Kaffee zu stellen. Dann setze ich mich mit meinem Wachmacher ebenfalls an den versifften Tisch. Na toll, den mache ich aber nicht sauber!
Marek zieht lang an seiner Zigarette und pustet den Rauch in die Luft. Ich verstehe ja nicht, was man daran so toll finden kann, aber gut … Mir fällt sein musternder Blick auf.
„Hmm?”, mache ich, um mich Mareks morgendlichen Wortschatz anzupassen.
„Nix”, murmelt er und drückt die Kippe am letzten freien Rand eines Aschenbechers aus. Die Dinger stinken bestialisch, aber das scheint ihn nicht zu stören – und ich habe es schon längst aufgegeben, hier die Müllabfuhr zu spielen.
„Lukas ist ja doch noch aufgetaucht”, sage ich schließlich.
„Jo.”
„Und? Wo war er?”
Marek zuckt mit den Schultern.
„Gestern hat dich das aber noch brennend interessiert.”
„Wusst ja nich, dass man bei dir – nicht stören darf …”, bringt Marek seinen ersten Satz des Tages heraus. Er schaut mich dabei wieder vielsagend an.
„Hoffe, wir waren nicht zu laut”, provoziere ich ein wenig.
Erst reagiert Marek nicht, dann zuckt er aber wieder mit den Schultern und steckt sich eine neue Zigarette an.
„Mein Zimmer is tabu, wenn ich nich da bin”, fügt er dann noch mürrisch an. „Und aufm Tisch müsst ihr’s ja auch nicht unbedingt treiben …”
„Auf dem Tisch hier?”
Marek grinst jetzt zum ersten Mal. „Außer, ihr macht danach schön sauber.”
„Ja klar …”
Damit ist das Gespräch beendet. Marek will noch so ein bis zwei Zigaretten rauchen und ich habe das Bad für mich.
Eine halbe Stunde später sitze ich an meinem Schreibtisch und versuche mich auf ein Linguistikbuch zu konzentrieren. Aber ich blättere nur regelmäßig die Seiten um, ohne irgendwas vom Inhalt mitzubekommen. Irgendwann reißt mich die zuschlagende Wohnungstür aus meinen Grübeleien. Vielleicht sollte ich Marek doch beizeiten mal beibringen, dass so eine Tür auch leise geschlossen werden kann …
Kurze Zeit später höre ich Lukas durch die Wohnung tapern. Auch so ein Fall, über den ich mir Gedanken mache. Wie wird es wohl sein, wenn wir uns wieder ganz normal in der Wohnung begegnen? Ich habe mir ja schon eingestanden, dass ich Marco ganz bestimmt nicht mehr als Dozent ansehen kann. Wenn er da vorne steht und seinen BWL-Sermon ablässt, muss ich ganz sicher an seine Mörderstange denken. Bei Lukas wird das nicht viel anders sein.
Vor meiner Tür knarzt der Dielenboden. Ich drehe mich um und sehe, wie Lukas ganz vorsichtig meine Zimmertür öffnet.
„Von Anklopfen haben wir noch nix gehört, was?”, empfange ich ihn halb scherzhaft, halb erbost.
„Oh, du bist wach”, antwortet er. „Ich wollte nur …”
„Ja?” Ich sehe, dass sich in Lukas‘ Hose was Ordentliches abzeichnet.
„Egal”, sagt er und will sich wieder zurückziehen. Dann hält er aber noch mal inne. „Oder willst du mit duschen kommen, Marek ist gerade weg.”
„Ich weiß”, antworte ich, „aber ich war schon duschen …”
„Oh”, macht Lukas.
„Außerdem dachte ich, dass du dich nur mal ausprobieren wolltest, was den Schwulensex angeht.”
„Na ja, solange ich keine Freundin habe …”
„… soll ich der Notstopfen sein, ja?”
„So hab ich das nicht gemeint.”
„So kommt das aber rüber.”
„War ja auch
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