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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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angab.
     
    »Gut«, sagte Michael. Seine Stimme war barsch und tief. Nummer 4 hatte sich verschüchtert, fast wie ein Soldat, der strammsteht, am Fußende des Bettes postiert, nur dass sie, wie zuvor, als sie sich wusch, mit den Händen versuchte, ihre Blöße zu bedecken.
    Er wusste, dass sie das nicht mit Absicht tat. Er wusste auch, dass diese Verschämtheit die meisten Zuschauer elektrisieren würde. Sie waren so an die Pornoindustrie gewöhnt, die ihre Akteure gar nicht schnell genug ausziehen konnte, um alles unverhüllt vorzuführen, dass der Widerwille von Nummer 4, zu zeigen, was die Leute sehen wollten, sie erregen würde.
    »Hände an die Seite, Nummer 4«, sagte er kalt.
    Er sah, wie sie zitterte. Er trat ein Stück nach links, um sicherzustellen, dass er die Kamera nicht blockierte, und noch deutlich näher heran. Nummer 4 sollte seine Anwesenheit, vielleicht sogar seinen Atem an der Wange spüren. Er vertraute darauf, dass Linda die anderen Kameraeinstellungen ebenfalls wechselte. Auch wenn sie mit der Kameraführung nicht so versiert war wie er, wusste sie genug, um wechselnde Blickwinkel zu gewähren.
    Streichle sie mit der Kamera, dachte Michael. Er versuchte, Linda diese Botschaft zu schicken, und er war zuversichtlich, dass er damit Erfolg hatte. In diesen Dingen waren sie auf derselben Wellenlänge.
    »Sieh geradeaus.«
    Nummer 4 tat, was er sagte. Sie biss sich auf die Lippe; hoffentlich fing Linda das in einer Nahaufnahme ein.
    »Wir haben noch weitere Fragen, Nummer 4«, fing er an. Sie nickte zwar nicht, doch er sah, wie sie den Kopf ein wenig in seine Richtung drehte. »Lass hören, Nummer 4, wie hast du dir dein erstes Mal vorgestellt?«
    Wie nicht anders erwartet, traf sie die Frage unvorbereitet. Sie öffnete den Mund ein wenig, als hätte sie etwas auf der Zunge, wollte es aber doch nicht sagen.
    Er soufflierte. »Hast du gedacht, du würdest dich verlieben? Hast du es dir romantisch vorgestellt? In einer lauen Sommernacht bei Mondenschein am Strand? Vor einem brennenden Kaminfeuer, in einer gemütlichen Hütte, während es draußen stürmt und schneit?« Er lächelte. Diese Phantasien hatte Linda beigesteuert. »Oder eher knallharter Sex auf dem Rücksitz eines Autos? Oder auf einer Party zwischen anderen Teenagern, wo du mitspielst, weil einer hartnäckig ist oder du zu viel getrunken oder vielleicht Drogen genommen hast?«
    Nummer 4 antwortete nicht.
    »Lass hören, Nummer 4. Wir wollen wissen, wie du es dir vorgestellt hast.«
    »Ich hab nie, ich …«, stammelte sie.
    »Klar hast du, Nummer 4«, knurrte Michael. Er bemühte sich, so bedrohlich wie möglich zu klingen. »Das tut jeder. Jeder stellt sich was vor. Nur dass die Wirklichkeit nie der Phantasie entspricht. Aber wir wollen es wissen, Nummer 4. Wovon hast du geträumt?«
    Er beobachtete, wie sie erstarrte.
    »Ich dachte, ich würde mich verlieben«, sagte sie stockend.
    Michael grinste unter der Maske, die er trug. »Raus damit, Nummer 4. Wir sind neugierig, was du unter Liebe verstehst.«
    Jennifer schwieg. Sie sagte sich, dass nicht Jennifer nackt vor der Kamera stand. Es war Nummer 4.
Ich hab keine Ahnung, wer das ist. Jemand anders als ich, vollkommen anders, denn ich bin immer noch ich. Auch diejenige,
     die mit ihm spricht, ist jemand anders.
Dann dachte sie:
Gib ihm, was er haben will.
Also spann sie sich eine Lüge aus. »Da war dieser Junge in meiner Schule, er hieß …«
    Der Mann war mit einem Schritt vor ihr und packte sie augenblicklich am Kinn. Sein Griff war fest, und er drückte brutal zu.
    Jennifer schnappte nach Luft. Sie war starr vor Schreck, als der Druck auf ihr Kinn zunahm. Das Furchteinflößende war zunächst nicht so sehr der Schmerz als vielmehr das Unerwartete der Bewegung. Doch als er immer fester drückte, wurde der Schmerz immer heftiger. Sie sah Farben hinter ihrer Augenbinde, ein Kaleidoskop an Rot und Weiß, dann spürte sie nur noch einen schwarzen, tiefen Schmerz.
    »Nein. Keine Namen, Nummer 4. Keine Ortsangaben. Keine kleinen Einzelheiten, die jemand hören soll, damit jemand kommt und nach dir sucht. Ich sag das nicht noch einmal, Nummer 4, das nächste Mal tu ich dir richtig weh.«
    Sie spürte seine Kraft. Es war, als schwebte eine dunkle Gewitterwolke über ihr. Sie nickte. Die Hand, die ihr Kinn gepackt hatte, ließ langsam los, und in ihren ganzen Körper kehrte das Gefühl zurück. Und die Erinnerung daran, dass sie nackt war.
    »Weiter, Nummer 4, aber nimm dich in Acht.«
    Sie

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