Der Professor
Austausch von Höflichkeiten. »Detective …«, sagte sie. »Gibt’s was Neues?«
Sie sah sowohl Hoffnung als auch Angst in Mary Riggins’ Augen. Terri blickte ihr über die Schulter. Scott West saß an einem Computer. Er legte eine Pause ein und starrte der Polizistin entgegen. »Nein«, sagte Terri. »Ich fürchte, nein. Ich wollte Ihnen nur berichten, was wir bis jetzt unternommen haben.« Dann: »Sie haben nichts gehört? Irgendeine Verbindung? Irgendetwas, das vielleicht …«
Als sie Mary Riggins’ leeren Blick sah, sprach sie nicht weiter.
Sie wurde ins Wohnzimmer geleitet, wo ihr Scott West sowohl einen Facebook-Auftritt als auch eine Website zeigte, die er für Informationen über Jennifer eingerichtet hatte. Bis dato hatte beides noch nicht viel gebracht, doch Terri nahm pflichtbewusst einen Ausdruck mit sämtlichen Eingängen an beiden Speicherstellen entgegen. Sie wusste, dass Facebook bei jeder polizeilichen Ermittlung kooperieren würde, und sie wusste auch, dass sie jede Internetverbindung zurückverfolgen konnte, falls sie Erfolg versprach.
Allerdings beschränkten sich die meisten Reaktionen auf Beiträge von der Art: Wir beten für ihre Seele. Jesus weiß, dass es keine vermissten Kinder gibt, nur Kinder, die er zu sich gerufen hat. Oder auch: Ich wünschte, dass die Vermisste mir in die Visage pisste. Die obszönen Reaktionen waren ebenso vorhersehbar wie die religiösen. Daneben gab es einige Einträge mit dem Tenor »Ich weiß genau, wo sie steckt«, die alle erst einmal Geld einsacken wollten, bevor sie weitere Auskünfte erteilten. Terri nahm sich vor, alles, was auch nur den geringsten Anschein von Erpressung hatte, dem FBI zu melden.
Sie starrte auf das Material in ihren Händen und erkannte, dass sie den Rest ihres Lebens damit hätte zubringen können, jedem Beitrag nachzugehen. Aus Sicht der Ermittlerin lag genau da das Problem.
Falls tatsächlich jemand darunter war, der etwas wusste, konnte man ihn kaum von den Spinnern und Perversen unterscheiden, die sich zu Tragödien wie dieser magisch hingezogen fühlten.
Und sie mit ihrem Treiben nur noch verschlimmern,
dachte Terri.
Als genügte dieser Schlag nicht, kommen die Sticheleien und Schmähungen dazu.
Sie fragte sich, ob das wirklich nur für das Internet galt. Kaum gab man etwas Persönliches preis, war damit zu rechnen, dass sich Fremde darauf stürzten.
»Glauben Sie, dass Ihnen irgendetwas davon weiterhelfen könnte?«, fragte Scott.
»Das kann ich noch nicht sagen.«
Er starrte auf den Monitor. »Ich schon«, sagte er finster. Scott sprach nicht weiter, sondern warf einen Blick durchs Zimmer. Mary Riggins war in die Küche gegangen, um für alle drei Kaffee zu holen. »Ich hab’s für sie getan. Es gibt ihr das Gefühl, bei der Suche nach Jennifer mitzuhelfen. Es ist ein bisschen so, wie wenn jemand mit dem Auto durchs Viertel fährt, als könnte man sie irgendwo entdecken wie ein verlorenes Paar Handschuhe am Straßenrand. Aber so funktioniert das nicht, oder, Detective?«
»Ich weiß nicht«, log Terri. »Vielleicht doch. Es hat solche Fälle gegeben. Andererseits …«
Wie so oft unterbrach Scott seinen Gesprächspartner und brachte Terris Satz für sie zu Ende. »… ist es allzu oft ein vergebliches Unterfangen, nicht wahr, Detective?«
Terri überlegte einen Moment, was für ein Mensch in einem solchen Gespräch »vergebliches Unterfangen« sagen würde. Sie nickte mit ungerührter Miene. Scott schien so abgeklärt zu sein, dass es an kaltherzige Grausamkeit grenzte. Sie vermutete, dass sich dieser Zug auch in seinen Therapiesitzungen zeigte.
»Ich helfe ihr nur dabei, den Fakten ins Auge zu sehen«, sagte er. »Es sind Tage vergangen. Ein Tag nach dem anderen ist verstrichen. Stunde um Stunde sitzen wir hier, als rechneten wir damit, dass das Telefon klingelt und Jennifer sagt:
›Hey, könnt ihr mich an der Bushaltestelle abholen?‹
Aber dieser Anruf kommt mit Sicherheit nicht. Jennifer ist wie vom Erdboden verschluckt.«
Scott beugte sich zurück und wedelte mit den Händen in der Luft. »Ich komme mir hier drinnen wie in einem Mausoleum vor. Mary kann nicht einfach den Rest ihres Lebens im Dunkeln sitzen und warten.«
Terri dachte, dass Mary gar nichts anderes übrigblieb.
Alle glauben immer, man müsse realistisch sein, bis das eigene Kind betroffen ist. Dann gibt es keine Realität mehr. Man kann nur tun, was man kann.
Und es hört nie auf.
In Terris Augen konnten Appelle, den Tatsachen ins
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