Der Profi
Geschäft bestens zu funktionieren, die Konten waren am Ende des Geschäftsjahres ausgeglichen. Sobald Boris Iwanowitsch den Laden übernahm, würde er die Gewinne verdoppeln, noch mehr Mädchen aus Osteuropa herbeischaffen und zusätzlich die Kosten reduzieren, indem er sämtliche Alkoholvorräte direkt aus Russland und das übrige Liefermaterial aus China importieren ließ. Ich für meinen Teil schwor mir, sobald ich diesen Auftrag erledigt hatte, nie wieder für Boris Iwanowitsch zu arbeiten. Allerdings hatte ich ähnliche Schwüre schon mehrmals geleistet …
Fuad hatte mich beeindruckt: Er hatte die richtigen Fragen gestellt und überdies sehr sorgfältig gearbeitet. Zum Schluss, als wir gingen, hatte er sich noch mit mehreren CD -Roms aus dem Büro bestückt, die er zu Hause prüfen wollte. Er versprach mir, den Abschlussbericht in vier Tagen fertig zu haben.
Danach machte ich mich auf den Weg in den Stadtteil Ventas auf der Suche nach Apolinar Estilo. Der Tag war lang geworden, und die Nacht versprach, kaum kürzer zu werden.
Außer dem Szeneviertel Chueca gibt es noch viele andere Stellen im Zentrum von Madrid, wo man Stricher finden kann: auf dem Platz an der Puerta del Sol, am Paseo de Recoletos, in der Umgebung der Residencia de Estudiantes. Aber auch auf dem Gelände hinter der Stierkampfarena von Ventas, ebendem Ort, zu dem ich gerade unterwegs war. Als die Nacht hereinbrach, stieß ich dort auf ein reges Hin und Her von Pkws, die aus der Richtung der Avenida de los Toreros kamen. Auf der einen Seite erhebt sich Madrids stolze Arena, auf der anderen Seite liegt ein Abhang, der dicht mit Büschen und Bäumen bewachsen ist. Dazwischen kämpfen jämmerliche Existenzen um ihr tägliches Überleben. Innerhalb der vielen Abstufungen des Elends in einer Großstadt wie Madrid sind sie ganz unten angesiedelt.
Ein Stricher bediente einen Kunden in dessen Auto; andere hielten derweil nach Kundschaft Ausschau. Eine weitere Gruppe ließ ein Crackpfeifchen kreisen. Sie wärmten sich rund um einen offenen Behälter, in dessen Innerem die Flammen brennender Holzscheite züngelten. Die meisten Kunden besuchten das Gelände in ihren Pkws: Ein Fahrzeug näherte sich, die Seitenscheibe wurde heruntergekurbelt, es entspann sich ein flüchtiger Dialog mit einem jungen Araber. Dann öffnete der Kunde die Fahrzeugtür, und der Junge verschwand im Wagen. In wenigen Minuten war die Nummer zu Ende: Ein junger Mensch hatte ein paar Euro verdient, die sein Überleben sicherten, und der Kunde ein weiteres Stück seiner Menschlichkeit verloren …
Ich nahm das Gelände und seine Besatzer etwas genauer unter die Lupe. Mehrere Silhouetten bewegten sich im Halbdunkel hin und her zwischen Mülleimern, Präservativen und Einwegspritzen. Einer von ihnen war ein junger Mann, der nicht viel älter als fünfzehn sein konnte. Er näherte sich zaghaft und bat mich in einem, wie es schien, erst vor kurzem erlernten Spanisch um eine Zigarette. Ich gab ihm eine und fragte ihn, während ich ihm das Feuer reichte, nach Apolinar Estilo. Das Aufflammen des Feuerzeugs brachte ein erschrockenes Augenpaar zum Vorschein.
»Eine Nummer, zwanzig Euro …«, sagte er mit seinem zähen Akzent, der es mir nicht gerade erleichterte, ihn zu verstehen.
Ich schüttelte den Kopf und wiederholte meine Frage, aber der Junge war offenbar erst ganz kurz in Spanien. Die einzige Gewissheit, die er besaß, war, dass er sich täglich aufs Neue irgendwelchen Perversen hinzugeben hatte.
Ich fragte weiter herum. Schließlich gab mir jemand einen Tipp: Ich solle mich an einen gut aussehenden hochgeschossenen Jungen mit Ponyfrisur wenden. Einen Marokkaner. Obwohl sich bereits kühle Abendluft auf dem Platz breitmachte, war der junge Mann lediglich mit hautengen Jeans und einem schwarzen T-Shirt bekleidet, auf das Mick Jaggers roter Schmollmund gedruckt war. Er rauchte in eleganter Haltung eine Zigarette. Ein Dutzend Augenpaare waren auf mich gerichtet. Sie versuchten herauszubekommen, ob ich von der Polizei war oder nur ein gewöhnlicher Kunde. Der junge Araber kam auf mich zu, ich bat ihn um Feuer. Auf fast schamlose Art, mit Abneigung und Gleichgültigkeit im Gesicht, musterte er mich von oben bis unten. Dann machte er eine verneinende Geste. »Ich habe kein Feuer!« Er schnippte seine Zigarette ins Gebüsch. Ich sah in seine finsteren Pupillen, von wo mich seine Dämonen begrüßten. Der Junge wirkte um vieles älter, als er in Wahrheit war.
»Ich suche einen Mann
Weitere Kostenlose Bücher