Der Profi
Cruz fort. »Und ich will ihm in die Augen sehen, während er mir sagt, dass er nichts mit der Geschichte zu tun hat. Morgen in aller Frühe bekommen Sie meinen Bericht und …«
Der Kommissar brummelte widerwillig sein Einverständnis und drehte sich um, noch bevor Cruz ihren Satz zu Ende gesprochen hatte.
Das Verhör mit dem Bulgaren bestätigte Cruz einmal mehr dessen freudige Erregung über die Liquidierung seines Erzfeindes. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Nachricht vom Tod des Russen bereits mit der Geschwindigkeit eines Steppenbrands verbreitet. Gueorgieu hatte sich schon eine Flasche Rotwein aus seiner Heimat aufgemacht. Wie zu erwarten, stritt er jede Verantwortung an dem (aus seiner Sicht) »beglückenden« Ereignis ab. Cruz machte sich gar nicht erst die Mühe, ein Alibi aus ihm oder aus seinen Helfershelfern herauszuquetschen. Sie würden ja sowieso alle eins haben. Sie hatte sich vorsorglich mit einem Durchsuchungsbeschluss ausgestattet und verbrachte zusammen mit zwei Uniformierten insgesamt zwei Stunden in seiner Wohnung, wobei sie auch in der Garage, im Abstellkeller und sonstigen abgelegenen Ecken herumstöberte. Sie fand weder einen Granatwerfer noch Stiefel mit Sandresten vom Tatort noch Überbleibsel der für diesen Bereich der Insel typischen Vegetation noch sonstiges Beweismaterial, auf die das Team aus der TV -Serie CSI mit Sicherheit gestoßen wäre. Später würde sie von der Telefongesellschaft noch eine vollständige Auflistung aller Anrufe anfordern, die vom Festnetz und vom Handy des Bulgaren getätigt worden waren. Aber auch das würde sie in ihren Ermittlungen nicht einen Schritt weiterbringen.
Cruz musste sich endlich ausruhen. Ihr Adrenalinausstoß war verpufft, und die Beweisführung wurde immer zäher. Außerdem musste sie unbedingt noch ihre persönlichen Spitzel über das, was in Palma gemunkelt wurde, aushorchen. Als Cruz ihren Kontrollgang beendet hatte, ging sie endlich nach Hause schlafen.
Ihren Kollegen Charly, Javi Moncada und Marc, erging es ganz ähnlich. Alle Mafiosi auf Mallorca waren ohne Ausnahme darüber erfreut, dass Tschernekow inzwischen in der Gerichtsmedizin ruhte. Alle hatten zum Zeitpunkt des Attentats entweder geschlafen oder einen Film im Fernsehen gesehen.
Cruz kam am nächsten Morgen zeitig ins Kommissa riat und fand ein Post-it auf ihrem PC -Schirm vor, auf dem stand: »Der Chef will dich sehen!« Die Leuchtstoffröhren über ihr flackerten unerbittlich. Bevor sie den Kommissar aufsuchte, zog sie sich noch schnell einen Kaffee aus dem Automaten. Er schmeckte synthetisch und verwässert und machte sie kaum munterer. Am Vorabend war sie nach dem Verhör des Bulgaren in ihr Apartment zurückgefahren und hatte ein ungemachtes Bett und auf dem Nachttisch eine Nachricht von Carlos vorgefunden. Mit Widerwillen hatte sie etwas zu Abend gegessen und dazu eine Flasche Rotwein mit einer halben Schlaftablette konsumiert. Danach war wenigstens ihre Nacht frei von Albträumen gewesen.
Das Krächzen des Faxgeräts hatte eingesetzt, es spuckte unter maximalem Einsatz seiner Tintenpatronen seitenweise Informationen aus, die wer weiß woher stammten. Die Druckertinte sprudelte wie wild übers Papier und machte die Hälfte des Inhalts unleserlich. Im Nebenzimmer grölte ein Betrunkener, der mit Handschellen an einen Stuhl gekettet war. Sämtliche Diensttelefone klingelten, was sich irgendwie anhörte, als würden alle Kirchenglocken gleichzeitig läuten. Es war die typische Geräuschkulisse eines Kommissariats am frühen Mor gen … Cruz schluckte noch schnell zwei Aspirin, dann machte sie sich auf den Weg zu ihrem Chef.
Der Kommissar saß auf seinem Bürosessel, eine kleine Lesebrille auf der Nasenspitze. Cruz war kurz davor, sich ebenfalls auf den Stuhl neben ihm fallen zu lassen, ihr war schwindlig. Aber ihr Vorgesetzter tolerierte unter keinen Umständen, dass Mitarbeiter sich in seinem Büro derartige Privilegien herausnahmen. Er ließ Cruz so lange warten, bis er das Blatt vor sich auf dem Tisch zu Ende gelesen hatte, woraufhin er sich eine Zigarette anzündete. Dann stieß er eine gewaltige Rauchwolke hervor.
»Du fliegst nach Madrid!«, sagte ihr Chef schließlich ohne weitere Umschweife.
Cruz zog die Augenbrauen hoch. Der Kommissar schwieg ungefähr ein halbe Minute lang.
»Was ist denn jetzt los?«, wollte Cruz wissen.
»Jemand hat den Boss der dortigen Russenmafia umgebracht. Er war in einem Restaurant in den Bergen bei Madrid Meeresfrüchte essen,
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