Der Profi
leidgeprüften Junioren ihre Arbeit verrichteten. Dutzende Schränke beherbergten tonnenweise Papier, das trotz des sogenannten Computerzeitalters pausenlos erzeugt wurde: Berichte, Tabellen, Statistiken, Verträge, Zitate aus ausländischen Presseartikeln, Kopien aus dem spanischen Ge setzblatt, Management-Zeitschriften … Der eine oder andere Arbeitsplatz wurde zwar von einer mickrigen Topfpflanze oder dem Foto eines weißen Sandstrands in tropischen Gefilden geschmückt – doch unterm Strich handelte es sich um eine ziemlich nüchterne und sterile Umgebung.
Bis zum normalen Dienstbeginn verblieb noch eine Stunde. Selbstvergessen beobachtete Fuad durchs Fenster das regenbogenfarbige Schillern einer Benzinpfütze im Laternenlicht. Es nieselte … Plötzlich schrak er auf: Mit lautem Krächzen hatte der Fotokopierer seine Arbeit unterbrochen. Fuad sah auf die Blätter, die sich in der Vorlage stauten: völlig unleserlich! Der Toner war leer …
Die körperliche Erschöpfung, die ein Missgeschick manchmal dramatischer erscheinen lässt, als es in Wirklichkeit ist, hätte Fuad beinahe aufgeben lassen. Er stand kurz davor, alles hinzuschmeißen und nach Hause zu gehen. Die ständigen Überstunden, sein Chef Alejandro de Quinto und dessen krankhafter Ehrgeiz, die Ödnis seines Privatlebens in Madrid, von alldem hatte der junge Marokkaner die Nase voll. Seine Familie und sein Leben waren in Ceuta. Als er seine Ausbildung beendet hatte einschließlich eines Masters in Finanzen, hatte sich sein Vater mächtig für ihn ins Zeug gelegt: Der Sohn eines Bekannten arbeitete in der Personalabteilung von Brown & McCombie . Dieser verschaffte Fuad ein Vorstellungsgespräch, und als er seinem Vater verkündete, er habe die Stelle bei der Consultingfirma bekommen, organisierte der eine Riesenparty für seinen Sohn, wofür er ein Gutteil seiner Ersparnisse ausgab. Doch Fuad, ein Mittzwanziger mit moslemischer Tradition, hatte Schwierigkeiten, sich in seiner neuen Umgebung zurechtzufinden. Außer Marcial hatte er in Madrid keinen einzigen Freund gefunden. Und die Frauen … Oje! Das war noch komplizierter. Es schien, als würde Allah ihm in dieser Hinsicht jede Hilfe hartnäckig verweigern. Madrid und Ceuta waren so grundverschieden!
Bereits zum zehnten Mal sah Fuad in dieser Nacht zu Barbaras Tisch hinüber und betastete seine Hemdtasche. Ein paar Stunden zuvor hatte er heimlich ihre Schreibtischschublade geöffnet und in ihren persönlichen Dingen gestöbert (ein Schminketui, ein Zettel mit Namen von Freunden, die sie zu einer Party einladen wollte, ein Umschlag voller Fotografien); danach hatte er die Schublade wieder schlagartig verschlossen. Er hatte sich wie ein pubertierender Trottel verhalten! Aber was konnte er schon dagegen tun? Sie war eben eine Göttin. Sie war das Wunschobjekt der Götter selbst, des gesamten Büros und natürlich auch von Fuad. Sie war blond, hatte azurblaue Augen, volle Lippen. Und ihr Hals … Besser nicht dran denken, Fuad! Auf einem der Fotos posierte sie mit einer Freundin zwischen den weißen Dünen eines Strandes. Wahrscheinlich Tarifa. War ja auch egal! Sie trug einen extrem knappen Bikini, der ihr Allerheiligstes kaum zu verdecken vermochte. Dann zog es Fuads Blick unwillkürlich auf zwei bemerkenswerte Punkte ihrer weiblichen Anatomie: ihr Lächeln, das unschuldig wirkte, aber genau wusste, dass sich jeder Mann um sie schlagen würde, und ihre Brüste, prall und opulent …
Jeden Morgen begrüßte Barbara ihn mit einem blendenden Lächeln, und Fuad antwortete darauf mit einem unbeholfenen Satz, der ihn anschließend den ganzen Tag über quälte. Sie geizte mit den Momenten, in denen sie zu ihm kam, um ihn um etwas zu bitten, und Fuad, ganz Nervenbündel, bemühte sich, nicht die Haltung zu verlieren, während er ihr bei ihren Anliegen half.
Erneut fing der Fotokopierer an, verdächtige Geräusche von sich zu geben. Fuad wurde gewaltsam auf den Boden der Realität geholt. Er atmete tief durch, zählte leise bis zehn, beschloss, seinen Arbeitsplatz nicht aufs Spiel zu setzen und nach einer neuen Druckerpatrone zu suchen. Die fand er im Abstellraum, und nachdem es ihm, trotz des aus dem Japanischen übersetzten Kauderwelschs der Bedienungsanleitung, gelungen war, sie auszuwechseln, nahm er wieder seinen Platz vor dem Fenster ein. Eine halbe Stunde später, der Zeiger seiner Armbanduhr war gerade auf sechs Uhr gerückt, stapelte er sämtliche Unterlagen für die Präsentation auf einem Tisch
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