Der Profi
im Konferenzsaal und begann sie abzuheften. Als er damit fertig war, strahlte die Sonne bereits zwischen den Hochhaustürmen der Hauptstadt hindurch.
Fuad sammelte die fünfzehn Unterlagenbündel wieder ein und fuhr erschrocken auf, als er den Vorstandsvorsitzenden aus dem Aufzug kommen sah. Don Eleuterio begab sich normalerweise nie aus der Chefetage in niedere Gefilde und erst recht nicht um diese Uhrzeit. Zabaleta erkannte Fuad und fragte:
»Sind Sie allein hier?«
Fuad zögerte einen Moment, bevor er antwortete.
»Es ist ja noch nicht sieben. Die Sekretärinnen kommen gegen acht. Alle anderen kommen erst später.«
Zabaleta war vom Anblick der leeren Tische sichtlich erstaunt. Seine Augenringe verrieten Müdigkeit.
»Und Sie, was machen Sie eigentlich hier?«
»Ich bereite die Präsentation für die Konferenz heute Mittag vor. Gerade bin ich damit fertig.«
Zabaleta brummte nur. Eines seiner wichtigsten Projekte der letzten beiden Jahre ging nun zu Ende. Ein saftiger Gewinn, der ihm jedoch wie nichts zwischen den Fingern zerrann. Der bloße Gedanke daran bereitete ihm Magenschmerzen. Es war die letzte Chance, den Vertrag zu verlängern und den Kunden an die Consultingfirma zu binden.
Die Konferenz erwies sich als totaler Reinfall. Seitens des Kunden waren lediglich drei Personen anwesend, und keiner von ihnen gehörte der Geschäftsleitung an (der Generaldirektor hatte sich fünfzehn Minuten vor dem Beginn entschuldigen lassen). Die Repräsentanten der Firma waren höflich und zuvorkommend, zeigten sich von ihrer besten Se ite, hörten sich längst überflüssige Erklärungen an, betrachteten Grafiken ohne Bedeutung, gaben sich betroffen über die vorzeitige Vertragsbeendigung, schielten dezent auf ihre Uhren und wichen den gequälten Fragen Seiner Königlichen Hoheit , Alejandro de Quinto, ob sich das gemeinsame Projekt nicht vielleicht doch noch retten lasse, geschickt aus.
Am Schluss verdrückten sich die verlegen wirkenden Yuppies der Weltfirma, steckten ihre Konferenzunterlagen in die Tasche und wirkten sichtlich erleichtert darüber, wieder ungestört in ihren Gewässern fischen zu können.
»Nach dieser Niederlage lade ich dich zu rohem Fisch und einem tollen Besäufnis ein«, bot Marcial Fuad an.
Marcial war ein Jahr älter als Fuad, untersetzt und braun gebrannt, er stammte aus dem aragonesischen Landstrich Los Monegros und war ein kleines Genie (ausgestattet mit einem glänzenden MBA der elitären Business-School IESE ).
»Ich fühl mich wie gerädert«, sagte Fuad. »Ich geh mich erst mal hinlegen …«
Marcial wedelte energisch mit einem Zeigefinger:
»Kommt gar nicht in Frage! Wir sind Consulter und noch jung und immun gegen jede Art von Müdigkeit und Schwäche! Ich erlaube dir, nach Hause zu gehen und dich umzuziehen. Aber um Punkt neun steh ich vor deiner Tür. Und zum Abendessen geht’s ins Naomí und danach auf eine Party bei Freunden …«, sagte er und verzog sich in Richtung Schreibtisch, um sich seiner Arbeit zu widmen.
Kurze Zeit später schaltete Fuad seinen Computer aus, bemüht darum, Alejandro de Quinto möglichst nicht über den Weg zu laufen. Dieser würde seine Wut über die geschäftliche Niederlage am Erstbesten auslassen. Als er in seine Wohnung zurückfuhr, rekapitulierte Fuad, wie schnell er sich von Marcial hatte breitschlagen lassen, als dieser zu ihm gesagt hatte:
»Übrigens kommt zu der Party auch Barbara!«
Man könnte sagen, dass die Besitzerin des Restaurants Naomí tausend Jahre japanischer Weisheit in sich vereinigte. Das ist natürlich rein symbolisch gemeint, aber man könnte tatsächlich diesen Eindruck bekommen. Für gewöhnlich waren zahlreiche Gruppen asiatischer Gäste in ihrem Lokal zu Gast, was für die Qualität ihrer Küche sprach, und so war es tatsächlich: Im Naomí aß man ganz hervorragend. Zwar waren die Mahlzeiten europäischen Gewohnheiten angepasst, denn wollte man spanische Gäste anziehen, blieb einem gar nichts anderes übrig; trotzdem waren sie von exquisiter und gleichzeitig bescheidener Einfachheit. Ein weiterer Pluspunkt war die nüchterne, aber moderne Ausstattung des Lokals. Die Besitzerin war nicht in die Falle getappt, die Wände mit Bildern von goldenen Drachen zu tapezieren oder mit Lampions aus Ramschläden zu behängen.
»Ich habe einmal gelesen«, bemerkte Marcial, »dass jahrelange Erfahrung nötig ist, um zu lernen, wie man Sushi richtig schneidet. Im Fernen Osten ist Sushi mehr als eine Kunst, es ist eine
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