Der Profi
nicht mehr auf ihre äußere Attraktivität herein. Nehmen wir zum Beispiel Barbara. Na ja, sie ist nun wirklich kein gutes Beispiel!«, verbesserte sich Marcial schnell. »Also, stell dir irgendeine andere Frau aus dem Büro vor. Angenommen, du hättest deine Hormone vollständig unter Kontrolle, dann würde sie dir wohl kaum den Schlaf rauben, oder?«
»Und die Damen vom Empfang? Die Dunkelhaarige von der Frühschicht? Die, die so geil aussieht?«
Marcial seufzte auf.
»Junge, du machst es mir nicht einfach!«
»Wahrscheinlich hast du Recht, Marcial, aber von Nutten will ich nichts wissen.«
»Dann geb ich mich an dieser Stelle geschlagen. Mein Angebot, dir Gesellschaft zu suchen, halte ich aber weiterhin aufrecht.«
Marcials philosophische Ausflüge in die Frauenwelt wurden von der Ankunft der Vorspeisenteller unterbrochen.
»Lassen wir das Thema. Ich hab Kohldampf. Übrigens: Welchen Eindruck hattest du von der heutigen Konferenz?«
»Man arbeitet ein paar Jahre ohne Pause, ackert die ganze Nacht, um eine Präsentation vorzubereiten, und alles ist für die Katz! Zuletzt entscheiden sie sich dafür, den Vertrag zu beenden. Verlorene Liebesmüh! Und eine Menge verschwendeter Zeit.«
Marcial nickte zustimmend.
Dann sagte er: »Die Kollegen von der Steuerberatungsabteilung erzählen mir, dass es dort auch nicht besonders gut läuft. Dieses Jahr sind ihnen bereits mehrere dicke Verträge flötengegangen.«
»Gestern hab ich gehört«, fügte Fuad an, »dass Bos ton Consulting inzwischen zehn Prozent ihrer Belegschaft auf die Straße gesetzt hat. Natürlich trifft’s vor allem die Jüngsten. Bei Accenture läuft’s anscheinend ähnlich mies. Schlechte Zeiten für freischaffende Künstler und Consultingmanager …«
Eine halbe Minute verging, ohne dass einer von ihnen ein Wort sagte. Dann hob Marcial sein Glas.
»Wahrscheinlich hast du Recht. Was hältst du davon, wenn wir heute Nacht unsere Sorgen zum Teufel jagen und uns einfach amüsieren?«
Es war bereits Mitternacht, als sie ein Taxi nahmen, das sie zu besagter Party brachte, die in einer Privatwohnung nahe der Glorieta de Bilbao stattfand. Bei ihrer Ankunft stießen sie auf eine rauchgeschwängerte Atmosphäre, die Musik dröhnte mit so viel Dezibel aus den Lautsprechern, dass man sie bis auf die Straße hinaus hören konnte. Überall standen leere Bierflaschen herum. Es gab kaum Möbel, gerade mal ein paar Abstelltische für Plastikbecher und Spirituosen. Dafür jede Menge bis zum Rand vollgestopfte Aschenbecher und hier und da einen Stuhl, auf dem sich Mäntel und Jacken stapelten. Die Stereoanlage hatte man einfach auf den Fußboden gestellt; der erste Drink, der darüber ausgegossen wurde, würde unwillkürlich zu einem elektrischen Kurzschluss führen. An die zweihundert Personen drängten sich auf engsten Raum.
Neben Fuad und Marcial stand ein junger Adonis, der, sich seiner Wirkung auf das weibliche Publikum bewusst, mit gespielter Gleichgültigkeit sein Cordsakko zurechtzog, mit einstudierten Bewegungen seinen Schal drapierte und sein Oberlippenbärtchen glatt strich. Wie unbedeutend kam sich Fuad in der Gesellschaft derart glamouröser Idioten vor. Und dennoch fand er: wie viel Banalität und wie viel seichtes Geschwätz, das jeglichen Interesses entbehrte.
Sie wichen einer Gruppe aus, die zum Sound von Robbie Williams tanzte, und gingen auf der Suche nach ein bisschen Frischluft auf den Balkon. Dort stießen sie auf mehrere Kollegen aus der Firma, die eine hitzige Debatte über Fußball führten. Es ging darum, wer der beste Stürmer der Liga sei, und dabei erwähnten sie Namen, die Fuad kaum je zu Ohren gekommen waren. Dann kehrten die beiden Freunde wieder ins Innere der Wohnung zurück. Dort machten Gespräche über Leute die Runde, deren Namen er ebenso wenig kannte, und über Freundeskreise, in denen er nicht verkehrte. Sie durchquerten den Raum und versuchten, mit jemandem ein Gespräch über ein interessantes Thema anzufangen: die Wirtschaftskrise, die Spannungen im Nahen Osten, vielleicht auch bloß die neuesten Filme im Kino … jedes x-beliebige Thema, das nichts mit den Banalitäten zu tun hatte, die ihnen hier auf Schritt und Tritt begegneten. Zum Schluss zerrte Fuad seinen Freund am Hemdsärmel.
»Gehen wir, Marcial! Ich bin müde, diese Party ist die reine Zeitverschwendung.«
»Warte, Fuad, nicht so eilig … Die Götter sind soeben auf die Erde hinabgestiegen!«
Und da stand sie: Barbara! Sie steckte in einem
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