Der Prometheus-Verrat
welche Entscheidungen und Befehle dieser an seine Schergen ausgab.
Dem Professor fiel der Entschluss beileibe nicht leicht, und er hatte schwer mit sich zu kämpfen. Würde er Simona, seine geliebte Frau, und seine Tochter Elena in Gefahr bringen? Wenn man ihm auf die Schliche käme – und das war sicher, da nur er die Quellcodes kannte –, würde er mitsamt seiner Familie festgenommen und exekutiert werden.
Es gab nur einen Weg: die Flucht aus Rumänien. Aber dazu brauchte er starke Verbündete im Ausland, am besten einen Geheimdienst wie die CIA oder den KGB, dem es möglich war, ihn und seine Familie außer Landes zu schaffen.
Von Angst getrieben, lancierte er erste vorsichtige Anfragen. Er hatte Kollegen, die ihrerseits gewisse Leute kannten. Denen unterbreitete er sein Angebot und seine Forderung. Aber weder die Briten noch die Amerikaner wollten darauf eingehen. Beide Seiten hatten sich für eine Politik der
Nichteinmischung entschieden. Sein Angebot wurde abgelehnt.
Doch dann nahm eines frühen Morgens ein Amerikaner Kontakt zu ihm auf. Er war kein CIA-Mann, sondern Vertreter eines anderen Geheimdienstes und sagte, dass seine Dienststelle an ihm interessiert sei und ihm helfen wolle. Seine Auftraggeber hatten den Mut, der den anderen fehlte.
Die Details für den Einsatz waren von den Logistikexperten des Direktorats entworfen worden; Bryson hatte sie nach Rücksprache mit Ted Waller in einigen Punkten modifiziert. Der Plan sah vor, den Mathematiker mit seiner Familie sowie fünf weitere Personen – zwei Männer und drei Frauen – über die rumänische Grenze zu schleusen. Ins Land hineinzukommen, war der einfachste Teil der Reise. Von Nyírábrány im Osten Ungarns fuhr Bryson mit dem Zug bei Valea Lui Mihai über die Grenze nach Rumänien. Er hatte den gültigen Pass eines ungarischen Fernfahrers bei sich und sah mit seinem Overall und den Schwielen an den Händen auf den ersten Blick auch aus wie einer. Wenige Kilometer hinter Valea Lui Mihai fand er den Lastwagen vor, der von einer Kontaktperson des Direktorats an verabredeter Stelle abgestellt worden war – ein alter rumänischer Lieferwagen, der aus allen Löchern nach Diesel stank, aber clever präpariert war: Wenn man die Heckklappe öffnete, schien die Ladefläche voll gepackt zu sein mit Kisten rumänischen Weins und tzuica , Pflaumenschnaps. Doch die Kisten waren nur zu einer einzigen Reihe aufgestapelt; dahinter verbarg sich ein Hohlraum, in dem sich halb Rumänien hätte verstecken können.
Die Flüchtlinge waren aufgefordert worden, sich im Wald von Baneasa fünf Kilometer nördlich von Bukarest einzufinden. Bryson traf sie beim Picknick an; sie wirkten wie eine große Familie, die einen Tag im Freien verbringt – wenn nicht die Angst in ihren Gesichtern so deutlich zu sehen gewesen wäre.
Der Anführer der achtköpfigen Gruppe war allem Anschein nach der Mathematiker Andrei Petrescu, ein kleinwüchsiger Mann Mitte sechzig, begleitet von einer sanften,
rundlichen Frau, der Gattin, wie es schien. Aber es war ihre Tochter, die Brysons Aufmerksamkeit sofort gefangen nahm, denn er hatte noch nie eine so schöne Frau gesehen. Elena Petrescu. 22 Jahre jung, rabenschwarze Haare, klein, zierlich, mit dunklen Augen, die funkelten und blitzten. Sie trug einen schwarzen Rock, einen taubengrauen Sweater und hatte eine bunte Babuschka um den Kopf gewickelt. Sie sagte kein Wort und beäugte ihn mit unverhohlenem Argwohn.
Bryson begrüßte sie auf Rumänisch. » Buna ziua «, sagte er. » Unde este cea mai apropiata statie Peco? « Wo ist die nächste Tankstelle?
» Sintetipe un drum gresit «, antwortete der Professor. Sie sind auf der falschen Straße.
Er führte sie zu dem Lieferwagen, den er, zwischen Bäumen versteckt, abgestellt hatte. Die wunderschöne junge Frau setzte sich, wie im Plan vorgesehen, zu ihm ins Fahrerhaus. Die anderen stiegen in das Versteck im Laderaum, wo Bryson Butterbrote und Wasser für die lange Fahrt zur ungarischen Grenze deponiert hatte.
Während der ersten Stunden sagte Elena kein einziges Wort, obwohl Bryson immer wieder versuchte, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Sie schwieg vor sich hin, ob aus Schüchternheit oder Nervosität, war für ihn nicht zu erkennen. Sie fuhren durch die Landschaft von Bihor und näherten sich der Grenzstation bei Bors, von wo sie ins ungarische Biharkeresztes überwechseln sollten. Sie waren die ganze Nacht hindurch gefahren und zügig vorangekommen. Alles schien glatt zu gehen –
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