Der Prometheus-Verrat
er sich problemlos zu Eigen machen. Jonas Barrett war unverheiratet. Jonas Barrett hatte Elena nie kennen gelernt. Jonas Barrett hatte sich darum auch nie in sie verlieben können. Jonas Barrett sehnte sie nicht an ihre Seite zurück. Jonas Barrett war eine Fiktion. Ihn Wirklichkeit werden zu lassen, würde für Nick bedeuten, dass er den Verlust von Elena akzeptierte.
»Deine Ernennung ist vor wenigen Tagen bestätigt worden. Woodbridge erwartet seinen neuen außerordentlichen Professor Anfang September. Und ich möchte hinzufügen, dass man sich dort über diesen Neuzugang glücklich schätzen darf.«
»Habe ich eine Wahl?«
»Nun, wir hätten dir auch einen Job in irgendeiner multinationalen Consulting-Firma verschaffen können. Oder bei einem Erdölriesen. In der Industrie. Aber das wäre alles nicht das Richtige gewesen. Du konntest immer schon mit Abstraktionen so gut umgehen wie mit Tatsachen. Früher habe ich mir Sorgen gemacht, dass du dadurch gehandikapt sein könntest, aber es hat sich als deine größte Stärke erwiesen. «
»Und wenn ich einfach nicht gehen will ? Was, wenn ich mich sträube, wenn ich mich nicht abschieben lasse?« Aus irgendeinem Grund sah er wieder die Klinge aufblitzen, den sehnigen Arm, der mit dem Messer in der Hand auf ihn zuschnellte …
»Sei nicht so stur, Nick.« Waller verzog keine Miene.
»Himmel«, flüsterte Bryson. Er bedauerte, dass er den Schmerz, den er empfand, nicht besser verhehlen konnte. Schließlich wusste er, wie gespielt wurde. Was ihn schmerzte, war nicht, was er da zu hören bekam, sondern wer ihm diese Worte an den Kopf warf. Waller konnte sich relativ kurz fassen, denn Bryson wusste, dass er keine Wahl hatte, und er wusste auch, was ihn erwartete, falls er sich auflehnen würde.
Ein Taxi gerät ins Schleudern, reißt einen Fußgänger nieder und verschwindet. Oder da wäre der Einstich einer Injektionsnadel, den der Betroffene im überfüllten Einkaufszentrum nicht einmal merkt, und am Ende heißt die Diagnose schlicht und einfach Herzversagen. Oder ein Raubüberfall mit tödlichem Ausgang – wahrhaftig nichts Ungewöhnliches in einer Stadt mit der landesweit höchsten Rate an Straßenkriminalität.
»Die Sache ist entschieden«, sagte Waller ungerührt. »Die Verantwortung für unseren Dienst geht vor. Ich wünschte, es wäre anders. Du kannst dir kaum vorstellen, wie schwer mir das alles fällt. In meiner Amtszeit musste ich schon drei meiner Männer … mit Sanktionen belegen. Gute Männer, die dann aber aus dem Ruder gelaufen sind – insofern als sie sich unprofessionell verhalten haben. Das belastet mich noch heute, und doch würde ich nicht zögern, es immer wieder so zu tun. Drei Männer. Ich flehe dich an, lass keinen vierten dazukommen.« War das eine Drohung, eine Bitte oder beides? Waller ließ langsam Luft ab. »Ich biete dir ein Leben. Ein gutes Leben, Nick.«
Aber was Bryson erwartete, war kein Leben, noch nicht. Es war irgendein Zustand zwischen Leben und Tod. Die Vorhölle. Fünfzehn Jahre lang hatte er sich ganz – mit Herz und Hirn – einer extrem gefährlichen, anstrengenden Tätigkeit gewidmet. Jetzt war er in diesem Job nicht mehr gefragt. Und Bryson empfand nichts als eine tiefe Leere. Er fuhr nach Falls Church zurück, zu seinem schmucken Haus im Kolonialstil, das ihm aber sonderbar fremd vorkam. Er ging wie ein Gast durch die Räume, musterte die von Elena ausgesuchten schönen Aubusson-Teppiche, das pastellfarben gestrichene Zimmer für das Kind, das sie sich so sehr gewünscht hatten. Das Haus kam ihm leer vor und gleichzeitig von Gespenstern belagert. Er füllte ein Wasserglas mit Wodka – danach würde er wochenlang nie mehr ganz nüchtern sein.
Überall im Haus war Elena, ihr Duft, ihr Geschmack, ihre Aura. Er konnte sie nicht vergessen.
Sie saßen auf dem Steg vor ihrem Häuschen am See und sahen das Segelboot vorüberziehen … Sie schenkte ihm gekühlten Weißwein ein, reichte ihm das Glas und gab ihm dabei einen Kuss. »Ich vermisse dich«, sagte sie.
»Aber ich bin doch bei dir, Liebling.«
»Jetzt, ja. Aber morgen bist du wieder weg. In Prag, Sierra Leone, Jakarta, Hongkong … wer weiß wo? Wer weiß wie lange?«
Er nahm ihre Hand und fühlte ihre Einsamkeit, die sie einfach nicht vertreiben konnte. »Aber ich komme doch immer zurück. Und du weißt: Trennung auf Zeit kommt der Liebe zugute.«
» Mai rarut, mai dragut «, sagte sie nachdenklich. »Wo ich herkomme, gilt ein anderer Sinnspruch. Celor
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