Der Prometheus-Verrat
europäischen Markt zu engagieren gedenke und bereits bei mehreren Fusionen in der Elektronik-Branche seine Hand im Spiel habe. Es zeichnete sich das Bild einer weltweiten Vereinigung von Konzernen ab, die alle als Lieferanten von Rüstungsgütern in Frage kamen.
Und wenn seine Informationen zutrafen, wurde dieser gesamte militärisch-industrielle Komplex vom Direktorat kontrolliert. Trachtete es etwa danach, die Kontrolle über die Verteidigungskräfte der Weltmächte zu gewinnen? War es das, wovor Harry Dunne so große Angst hatte?
Hatte Dunne ihn unter Vortäuschung falscher Tatsachen ins Spiel gebracht, sozusagen als Bauer, der sich getrost opfern ließ? Oder war Dunne, falls er denn noch lebte, selbst der Dumme?
Immerhin war für Bryson jetzt klar, wohin er sich wenden musste, um Antworten zu finden.
In der Rue d’Argent gab es unweit des Theatre de la Monnaie einen kleinen Laden, der Kostüme verlieh und Theaterbedarf verkaufte. Bryson besorgte sich dort, was er brauchte, und suchte dann die Niederlassung einer internationalen Bank auf, wohin er sich Geld von seinem Luxemburger Konto überweisen ließ. Wenig später hatte er umgerechnet und nach Abzug der Gebühren fast 100 000 Dollar in der Tasche – hauptsächlich in US-Währung, aber auch in europäischen Devisen.
In einem Reisebüro ließ er sich auf die Last-Minute-Liste eines bestimmten Charterfluges setzen. Danach ging er in ein Fachgeschäft für Sportartikel und kaufte ein.
Am nächsten Tag startete vom Zaventem Airport eine klapprige Aeroflot-Maschine mit einer bunt gemischten Reisegruppe aus Rucksacktouristen an Bord, die das Billigangebot »Moskauer Nächte« gebucht hatten: vier Tage und drei Übernachtungen in Moskau, gefolgt von einer nächtlichen Zugfahrt nach St. Petersburg, wo weitere drei Tage verbracht werden sollten. Der Preis verstand sich inklusive Unterkünfte und Mahlzeiten, was nicht unbedingt von Vorteil war.
Einer der Mitreisenden war ein Mann Mitte vierzig in einem grünen Freizeitanzug, mit Baseballkappe und einem dichten braunen Vollbart. Er reiste allein, hatte sich aber schnell von der allgemeinen Ausgelassenheit anstecken lassen. Für seine neu gewonnenen Freunde war er Mitch Borowski, Buchhändler aus Quebec, der mit seinem Rucksack schon die halbe Welt bereist und in Brüssel das plötzliche Bedürfnis verspürt hatte, zur Abwechslung auch einmal Moskau kennen zu lernen. Zum Glück hatte er noch einen der letzten Plätze in der Chartermaschine ergattern können, in buchstäblich letzter Minute. Aber er, Mitch Borowski, traf gern solche spontanen Entscheidungen.
Achtzehntes Kapitel
E s war 10:00 Uhr, als sich mehrere hochrangige Geheimdienstler im Kartenraum des Weißen Hauses zu einer kurzfristig einberufenen Sitzung zusammenfanden. Auf solchen außerordentlichen Konferenzen wurden meist besonders heikle Angelegenheiten behandelt, Brandherde ausgetreten oder gelegentlich auch geschürt, wenn nicht gar gelegt, in jedem Fall aber Entscheidungen von weit reichender Bedeutung getroffen.
Manche Herausforderungen verlangten schnelle, einmütige Reaktionen, die nicht durch bürokratische Maßregeln, politisches Schachern oder ängstliche Einwände ausgebremst werden konnten. Erfolgreiche Regierungsarbeit reduzierte sich bisweilen auf die Anwendung eines einziges Lehrsatzes: In Krisensituationen konfrontierte man den Oberbefehlshaber nicht mit Problemen; vielmehr unterbreitete man ihm Lösungsvorschläge. Und es waren diese besagten Ad-hoc-Konferenzen – im Weißen Haus oder dem angrenzenden alten Regierungsgebäude –, auf denen solche Lösungsvorschläge erarbeitet wurden.
An dem langen, mit weißen Schreibunterlagen bedeckten Mahagonitisch standen insgesamt acht Stühle. Vor einer der Wände stand, wie ein Relikt aus vornehmeren Zeiten, ein roséfarbenes Sofa; darüber hing ein Rahmen mit der letzten von Präsident Roosevelt verwendeten Lagekarte aus dem Zweiten Weltkrieg. Sie war von Hand auf den 3. April 1945 datiert. Gut eine Woche später war Roosevelt gestorben. In den Jahren danach wurde aus der einst streng geheimen Kommandozentrale eine Art Abstellkammer. Erst die jetzige Regierung hatte den fensterlosen Raum wieder in Gebrauch genommen, und alles, was in ihm verhandelt wurde, war gewissermaßen vom Hauch seiner Geschichte umweht.
Richard Lanchester saß am Kopf des Tisches und sah sich in der Runde seiner Kollegen um. »Mir ist immer noch nicht
ganz klar, was auf der Tagesordnung steht. Aus der
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