Der Prometheus-Verrat
ausgerechnet Genf? Alle Erklärungsversuche verweisen darauf, dass Genf das Zentrum zahlreicher internationaler Organisationen ist, so auch das der Weltgesundheitsorganisation. Der Bürgermeister enthält sich aller Kommentare zu der allenthalben geäußerten Vermutung, wonach die Katastrophe auf den gezielten und seit Wochen, wenn nicht Monaten geplanten Terroranschlag eines unbenannten Kommandos auf die Stadt zurückgeht.
Bryson blickte von der Zeitung auf. Er war kreidebleich im Gesicht. Wenn dieser Bericht zutraf – und es gab keinen Grund, daran zu zweifeln –, hatte es einen mit biologischen Waffen geführten Anschlag auf Genf gegeben, noch während
er in der Stadt gewesen war beziehungsweise kurz nach seiner Abreise.
Ein vom Himmel gebombter Passagierjet … der bei Lille in die Luft gesprengte EuroStar … eine während der morgendlichen Rushhour in der Washingtoner Metrostation gezündete Bombe …
Allesamt Terroranschläge, in dichter Folge und mit unübersehbaren Gemeinsamkeiten. Mit ihrer Brutalität gegen die Öffentlichkeit zielten sie darauf ab, Angst, Schrecken und Chaos zu verbreiten. In einem Detail aber wichen sie vom typischen Terrormuster ab.
Es gab keine Bekennerschreiben .
In der Regel erklärten sich Terroristen für ihre Taten verantwortlich und lieferten meist auch eine Rechtfertigung nach. Das Ziel dieser aktuellen Anschläge schien allerdings einzig und allein Panikmache zu sein.
Für Bryson stand außer Frage, dass das Direktorat das Eisenbahnattentat bei Lille geplant und ausgeführt hatte. Es war darum wahrscheinlich auch als Urheber der Katastrophe von Genf anzusehen.
Aber was hatte das alles zu bedeuten?
Was hoffte das Direktorat zu erreichen? Zu welchem Zweck rotteten sich da extrem mächtige Privatpersonen zusammen, in welcher Absicht überzogen sie die Welt mit Terror und Gewalt?
Die Vermutung, dass ein paar Waffenhändler eine gesteigerte Nachfrage nach ihren Waren künstlich zu erzeugen versuchten, mochte Bryson nicht länger einleuchten. Maschinengewehre waren machtlos gegen den Ausbruch von Milzbrand. Es steckte mehr dahinter, ein anderes Muster, eine andere Logik. Aber was?
Er war in Genf und auch in der Nähe von Lille gewesen, jeweils kurz vor den Anschlägen. In Genf hatte er nach Jan Vansina, einem Direktoratsagenten, gefahndet und war vorher in dem nahe bei Lille gelegenen Chantilly gewesen, um gegen Jacques Arnaud zu ermitteln.
Konnte es sein, dass diese zeitlichen und örtlichen Übereinstimmungen nicht zufällig waren? Gab es womöglich
irgendeinen Zusammenhang zwischen den Terroranschlägen und seinem jeweiligen Aufenthalt in der Nähe der Tatorte?
Er dachte an Harry Dunne und dessen nachdrückliche Bitte, dass er nach Genf reiste und Jan Vansina stellte. Vielleicht hatte Dunne auch in dieser Sache seine Hände mit im Spiel. Aber Chantilly? Davon hatte Dunne nichts gewusst …
Layla aber sehr wohl. Sie hatte ihn auf Arnaud überhaupt erst aufmerksam gemacht und ihm den Weg nach Chantilly geebnet, obwohl sie anfänglich von einem Besuch ganz und gar nicht angetan gewesen war. Oder hatte sie sich nur zum Schein gesträubt? Wie auch immer, sie war es gewesen, die den Stier mit dem roten Tuch gereizt hatte.
Nach Genf hatte er sich von Harry Dunne, nach Chantilly von Layla locken lassen. An beiden Orten beziehungsweise in der Nähe waren unmittelbar danach Terroranschläge verübt worden. War es möglich, dass Dunne und Layla unter einer Decke steckten, beide für das Direktorat arbeiteten und ihn in diese grauenvollen Anschläge zu verwickeln versuchten?
Himmel, womit war sonst noch alles zu rechnen?
Er faltete die Zeitung zusammen, um sie einzustecken, als ihm das Foto neben einem kurzen Artikel ins Auge sprang.
Bryson erkannte die abgebildete Person auf Anhieb: Es war der pausbackige Mann, den er mit Jacques Arnaud aus dessen Privatbüro in Chantilly hatte kommen sehen: Anatoli Prischnikow, seines Zeichens Präsident und Geschäftsführer des russischen Riesenkonsortiums mit dem Namen Nortek.
ARNAUD KÜNDIGT JOINT VENTURE AN, hieß es in der Überschrift. Jacques Arnaud plante, sein ohnehin schon enorm weit verzweigtes Firmenimperium mit jenem russischen Megakonzern zusammenarbeiten zu lassen, der seinerseits aus dem Zusammenschluss etlicher Rüstungsbetriebe der ehemaligen Sowjetunion bestand.
Zu den Inhalten und Absichten dieses Plans wurde nichts Näheres ausgeführt. Allerdings war davon die Rede, dass
sich Nortek verstärkt auf dem
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