Der Prometheus-Verrat
Sie nicht wissen. Sie glauben, fünfzehn
Jahre lang Ihrem Land gedient zu haben.« Dunne musterte Bryson mit bohrenden Blicken.
Leise, aber entschieden antwortete Bryson: »Ich weiß, dass dem so ist.«
»Und genau an dem Punkt irren Sie. Stellen Sie sich vor: Das Direktorat gehört gar nicht zur Administration der Vereinigten Staaten, hat nie und nimmer dazugehört.« Dunne lehnte sich in seinem Sessel zurück und fuhr mit der Hand durch seine weiße Mähne. »Verdammt, ich bin mir im Klaren darüber, dass ich Ihnen jetzt einiges zumuten muss, und es fällt mir nicht leicht, glauben Sie mir das. Vor zwanzig Jahren musste ich einen unserer Männer zurückpfeifen. Er glaubte, für Israel zu spionieren und war ganz engagiert bei der Sache. Ich musste ihm klarmachen, dass er unter falscher Flagge gedient und seinen Lohn von Libyen empfangen hatte. Die Kontakte, die Kontrollen, die Hotelzimmer-Rendezvous in Tel Aviv – all das war Teil der Inszenierung. Und die war nicht einmal besonders raffiniert. Dumm nur, dass dieses Miststück dann anfing, ein doppeltes Spiel zu spielen. Trotzdem tat er mir Leid, als er erfahren musste, wer seine wahren Auftraggeber waren. Sein Gesicht werde ich nie vergessen. «
Bryson lief rot an. »Worauf wollen Sie eigentlich hinaus?«
»Gegen diesen Mann sollte tags darauf in einem streng abgesicherten Raum des Justizministeriums Anklage erhoben werden. Aber er kam uns zuvor und nahm sich mit einem Kopfschuss das Leben.« Auf einem der LCD-Bildschirme leuchtete ein anderes Bild auf. »Das ist der Mann, der Sie rekrutiert hat, stimmt’s?«
Es war ein Foto von Herbert Woods, ein arrivierter Historiker und Brysons Mentor in Stanford. Woods hatte große Stücke auf ihn gehalten und an ihm bewundert, dass er zwölf Sprachen fließend sprechen konnte, mit einem außergewöhnlich guten Gedächtnis gesegnet war und dass er auch sportlich einiges auf dem Kasten hatte. Gesunder Geist in gesundem Körper – darauf legte Woods großen Wert.
Der Bildschirm wurde kurz dunkel und zeigte dann ein sehr grobkörniges Foto des jungen Woods auf einer Straße,
die Bryson sofort als die alte Gorkystraße in Moskau wiedererkannte, die nach der Wende wieder ihren vorrevolutionären Namen Twerskaja zurückerhalten hatte.
Bryson lachte bitter auf. »Das ist Irrsinn. Sie wollen mir doch jetzt nicht von dem ›Skandal‹ erzählen, dass Herb Woods in jungen Jahren ein Kommunist gewesen ist. Verzeihung, aber das weiß doch längst jeder. Er hat nie ein Hehl daraus gemacht. Deshalb war er später ja auch ein so entschiedener Antikommunist: Er wusste aus erster Hand, wie verführerisch der ganze utopische Quatsch damals war.«
Dunne schüttelte den Kopf. Ein rätselhafter Ausdruck lag auf seinem Gesicht. »Vielleicht habe ich zu weit vorgegriffen. Wie ich Ihnen schon sagte, ich will, dass Sie einfach nur zuhören. Sie sind Historiker, stimmt’s? Nun, dann gestatten Sie mir eine kleine Geschichtslektion. Sie wissen bestimmt, was es mit dem Trust auf sich hat.«
Bryson nickte. Der Trust galt gemeinhin als der größte Spionagecoup des 20. Jahrhunderts. Die Operation hatte sich über sieben Jahre erstreckt und war von Lenins Meisterspion Felix Dserschinski ausgeheckt worden. Kurz nach der Oktoberrevolution wurde die Tscheka, die sowjetische Geheimpolizei, aus der sich der KGB entwickelte, von einer Gruppe falscher Dissidenten gegründet. Unter ihnen befanden sich einige angeblich abtrünnige Mitglieder der Sowjetregierung, die, gezielt gestreuten Gerüchten zufolge, glaubten, dass der Zusammenbruch der UdSSR unmittelbar bevorstünde. Bald schlossen sich dem so genannten Trust oppositionelle Gruppen aus dem Exil an, die dann die Geheimdienste des Westens mit Informationen versorgten – gefälschten, versteht sich –, und zwar in einem Ausmaß, dass diese Geheimdienste gänzlich davon abhängig wurden. Zum einen konnten so alle Regierungen, die die Sowjetunion zu Fall bringen wollten, in die Irre führt werden; zum anderen bot sich Moskau damit die enorm wirksame Möglichkeit, in die Spionagenetze des feindlichen Auslands einzudringen. All dies funktionierte so vorzüglich, dass der Trust später als Modellfall einer perfekten Täuschungsoperation an den
Schulen der Geheimdienste auf der ganzen Welt vorgestellt wurde.
Als der Schwindel in den späten 20er Jahren aufflog, war es zu spät. Führende Oppositionelle im Exil waren gekidnappt und ermordet, Netze von Kollaborateuren zerstört und Überläufer abgefangen
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