Der Prometheus-Verrat
Doch Bryson dachte gar nicht daran, vor ihnen davonzulaufen.
Er hörte Layla näher kommen und blickte auf. »Ich brauche ein Seil oder Kabel«, flüsterte er.
»Seil?«
»Schnell! So etwas wird doch wohl aufzutreiben sein. In der Sakristei zum Beispiel. Beeilen Sie sich bitte.«
Sie nickte und lief durch die Mittelreihe Richtung Chor.
Vorsichtig öffnete er die Tür einen Spaltbreit und rief ein paar Worte auf Friaulisch nach draußen. Dank seines präzisen
Ohrs für fremde Sprachen, konnte er jeden Dialekt täuschend echt nachahmen; mehr noch: Er schaffte es auch, die eigene Stimme auf Paolos höhere Lage anzuheben. Auf seine Fähigkeit der Stimmimitation war, wie er wusste, voll Verlass. Aus der Ferne würde er für Paolo klingen wie der eigene Bruder. » Ou! Paulo, pessèe! Lu ai, al è jù! « He! Paulo, komm schnell! Ich hab ihn unten!
Die Antwort folgte unmittelbar. » La setu? « Wo bist du.
» Ca! Lì da vecje glesie … Cu le sieradure rote! « In der alten Kirche … das aufgebrochene Schloss!
Bryson schmiegte sich rücklings an den Türrahmen und packte die Beretta mit der linken Hand.
Die Schritte kamen beschleunigt näher. Vor der Kirche angelangt, rief Paolo: » Niccolo? «
» Ca! «, antwortete Bryson, indem er seine Stimme mit der Armbeuge dämpfte. » Moviti! «
Kurzes Zögern. Dann wurde die Tür aufgestoßen. In der plötzlich hereinbrechenden Lichtflut sah Bryson die schlanke Gestalt und die kurz geschnittenen schwarzen Locken. Die Pistole in der Hand blinzelte Paolo mit gespannter Miene ins Dunkle. Er wirkte misstrauisch. Sein Blick ging unruhig hin und her.
Bryson sprang nach vorn und fiel mit der ganzen Wucht seines Körpers über Paolo her. Seine Rechte war zu einer Klaue verkrampft, mit der er den Kehlkopf des Italieners so sehr quetschte, dass diesem der Schrei in der Kehle stecken blieb. Gleichzeitig versetzte er ihm mit dem Pistolenknauf einen gezielten Schlag auf den Kopf.
Paolo sackte ohnmächtig zu Boden. Er würde vermutlich in wenigen Minuten wieder zu sich kommen. Bryson nahm ihm die Waffe ab, eine Luger, und durchsuchte die Taschen. Er kannte die Sangiovannis gut genug, um zu wissen, dass sie stets eine zweite Waffe mit sich führten; er wusste auch wo: an der linken Wade, von einem weiten Hosenbein überdeckt. Bryson nahm sowohl diese Waffe an sich als auch das Messer, das in einer am Gürtel befestigten Scheide steckte.
Layla staunte nicht schlecht, als sie dazukam und sah, was inzwischen passiert war. Sie warf Bryson ein elektrische Verlängerungsschnur
zu, die zwar alles andere als ideal war, aber fest genug, um ihren Zweck zu erfüllen. Bald war der Italiener an Händen und Füßen gefesselt, mit Knoten, die sich, von Layla geschnürt, fester ziehen würden, je heftiger er sich bewegte. Danach schleppten sie den Gefangenen in die Sakristei jenseits des nördlichen Kreuzflügels. Dort war es noch düsterer, doch ihre Augen hatten sich inzwischen an das spärliche Licht gewöhnt.
»Ein drahtiger Bursche«, bemerkte Layla. »Wie eine gespannte Sprungfeder.«
»Ja, er und sein Bruder sind ausgesprochen sportlich. Beides hervorragende Jäger, regelrechte Berglöwen. Auch ebenso unerbittlich.«
»Hat er schon einmal für Sie gearbeitet?«
»Das ist schon lange her. Er und sein Bruder. Ein paar kleinere Aufträge und in einer größeren Sache in Russland.« Er sah ihren fragenden Blick und konnte keinen Grund erkennen, weshalb er ihr Einzelheiten vorenthalten sollte. »Im russischen Koltsowo nahe bei Nowosibirsk gibt es ein Institut namens Vector. Mitte der 80er Jahre wurde in amerikanischen Geheimdienst-Kreisen gemunkelt, dass Vector nicht bloß eine Forschungsanstalt sei, sondern außerdem Produktionsstätte von Substanzen zur biologischen Kriegsführung. «
Sie nickte. »Milzbrand, Pocken und so weiter. Ich habe davon gehört.«
»Nach Auskunft eines Überläufers, der sich Ende der 80er Jahre zu uns absetzte – kein anderer als der stellvertretende Leiter dieses Programms –, wollten sich die Russen die Möglichkeit eines biologischen Erstschlags gegen amerikanische Großstädte verschaffen. Die Informationen der militärischen Aufklärung waren allerdings wenig aussagekräftig. Eine Anlage aus mehreren Flachbauten, von hohen Elektrozäunen umgeben und von bewaffneten Posten bewacht – das war alles, was CIA oder NSA herausgefunden hatten. Aber ohne konkrete Beweise wollten weder die US-Regierung noch irgendwelche anderen NATO-Staaten einschreiten.« Er
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