Der Prometheus-Verrat
erzählt?«
»Oh, er war ein begnadeter Erzähler. Er hat die komischsten Geschichten erzählt.«
In einer anderen Ecke des Aufenthaltsraums war einem der anderen Patienten ein kleines Malheur passiert. Zwei Pfleger kamen mit Eimer und Aufnehmer. Sie sprachen russisch miteinander. Bryson konnte einen Halbsatz aufschnappen – ya nyeznayu : ich weiß nicht – und am Akzent heraushören, dass der Sprecher aus Moskau stammte.
Auch Felicia Munroe hatte die Worte gehört und spitzte die Ohren. » Ya nye znayu «, wiederholte sie lachend. »Was für ein Kauderwelsch!«
»Das ist kein Kauderwelsch, Tante Felicia«, entgegnete Bryson.
»Kauderwelsch!«, insistierte sie trotzig. »So faselte auch Pete manchmal im Schlaf. Ya nye znayu. Dummes Zeug. Immer wenn er im Schlaf redete, hörte es sich so ähnlich an. Und wenn ich ihn damit aufgezogen habe, ist er immer in die Luft gegangen.«
»Er hat im Schlaf in dieser Sprache geredet?« Bryson spürte sein Herz gegen die Rippen pochen.
»Oh ja, und das ziemlich häufig.« Mit einem Mal wirkte Felicia hellwach.
Onkel Pete hatte also im Schlaf Russisch gesprochen. Hatte Harry Dunne also Recht? War Pete Munroe ein Genosse von Gennadi Rosowski alias Ted Waller gewesen? War es möglich? Oder gab es auch eine andere Erklärung? Bryson wusste nicht weiter.
Felicia fuhr fort zu erzählen. »Besonders schlimm war’s nach deinem Tod, George. Er kam kaum zur Ruhe, wälzte sich dann hin und her und schrie manchmal laut auf im Schlaf, immer in diesem Kauderwelsch.«
Der im Norden des Beach Drive gelegene Rock Creek Park in Washington eignete sich besonders gut für das geheime Treffen mit Harry Dunne, das für den frühen Morgen des nächsten Tages verabredet war. Dunne hatte Bryson die Wahl des Treffpunktes überlassen – aus Höflichkeit und nicht etwa, weil er dessen einschlägige Erfahrung als Spezialagent besonders wertschätzte. Schließlich war er mittlerweile doppelt so lange für seinen Geheimdienst tätig wie Bryson seinerzeit für das Direktorat.
Dass sich der stellvertretende CIA-Direktor mit ihm im Freien, außerhalb des Stammsitzes in Langley, treffen wollte, fand Bryson einigermaßen alarmierend. Er konnte kaum glauben, dass Dunne Angst davor haben musste, im eigenen Büro ohne sein Wissen abgehört zu werden. Aber vielleicht stimmte es ja tatsächlich, dass die CIA von Agenten des Direktorats unterwandert war, dass es Brysons ehemalige Vorgesetzten irgendwie geschafft hatten, ihre Fühler bis in die oberen Etagen der CIA auszustrecken. Dass Dunne darauf bestanden hatte, das Gespräch an einem neutralen, sicheren Ort fortzusetzen, war schon ein beängstigender Beleg dafür, dass irgendetwas nicht stimmte.
Trotzdem wollte sich Bryson auf keinen Fall ins Bockshorn jagen lassen. Traue niemandem – Ted Wallers meist feixend vorgetragener Wahlspruch traf auf makabre Weise zu: Waller selbst hatte sich als Erzbetrüger erwiesen und sein, Brysons, Vertrauen aufs Schändlichste hintertrieben. Nein, Bryson würde auf der Hut bleiben und keiner Menschenseele trauen, schon gar nicht diesem Dunne.
Er fand sich schon eine volle Stunde vor dem verabredeten Zeitpunkt am verabredeten Ort ein. Es war kurz nach vier, noch dunkel und die Luft kühl und klamm. Auf der Straße kamen nur vereinzelt einige wenige Autos vorbei, Mitarbeiter, die von der Nachtschicht nach Hause fuhren, oder auf dem Weg zum Frühdienst waren. Die Geschäfte der Regierungsverwaltung liefen rund um die Uhr.
Die ungewohnte Stille empfand Bryson als seltsam. Er achtete auf das Knacken der Zweige unter seinen Sohlen, als er das Dickicht am Rand der Lichtung durchstreifte, die er
für das Treffen ausgesucht hatte, und hörte Geräusche, die sonst im Verkehrslärm untergingen. Um möglichst leise gehen zu können, trug er Schuhe mit Gummisohlen, worauf er auch bei seinen Einsätzen stets Wert gelegt hatte.
Bryson sah sich die Umgebung genau an und suchte sie nach möglichen Gefahrenstellen ab. Der bewaldete Hügel lag neben einem schmalen Wiesenstreifen am Rand eines asphaltierten Parkplatzes, in dessen äußerstem Winkel, halb verschwunden in einer Senke, jenes bunkerartige Toilettenhäuschen aus Beton stand, in dem er sich mit Dunne treffen wollte. Entgegen der Wettervorhersage, die Regen angekündigt hatte, war es trocken geblieben. Auch wenn sie jetzt das Häuschen nicht mehr vor Nässe schützen musste – seine dicken Wände würden immerhin helfen, einen eventuellen Anschlag zu vereiteln.
Bryson war
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