Der Protektor (German Edition)
Hochbetrieb.
„Ich habe schon gegessen“, sagt Hanna Falk vorbeugend. „Nur einen Kaffee, einen koffeinfreien, sonst nichts.“
Klar, die Linie.
Ich hingegen habe noch nicht zu Abend gegessen und nehme einen Vorspeiseteller – geräucherten Rentierschinken mit Preiselbeeren – man muss schließlich die Landesküche kennenlernen, und als Hauptgericht Kroppkakor, das sind Kartoffelklöße mit Fleischfüllung, wie mir Doktor Falk übersetzt. Ich packe mein Tablett voll, dann gehen wir suchend durch das Lokal, bis Plätze frei werden, und setzen uns. Unsere Tischnachbarn sind ein ganz junges Paar, das sich an den Händen hält und miteinander flüstert. Uns beachtet es nicht.
Um uns herum geht es laut zu, es herrscht ein babylonisches Sprachgewirr. Wenn uns jemand beobachten sollte, hätte er es nicht leicht. Doch ich darf mir auch nicht anmerken lassen, dass ich mich vorsehe. Im übrigen brauche ich von dem Gespräch mit Doktor Hanna Falk nichts zu verbergen.
„Ich habe ein paar Fragen an Sie“, sage ich. „Hauptsache, Sie können mir darauf antworten.“
„Bitte.“
„Wann haben Sie Doktor Bresson zum letzten Mal gesehen?“
„Vorgestern. Am selben Tag, wo… Er kam in unser Labor, wir haben ein paar Worte gewechselt, dann ist er gegangen.“
„Weshalb ist er gekommen?“
„Er hat seine Büchse in die Kühltruhe gestellt. Bei mir steht eine Kühltruhe“, erklärt Doktor Falk, „sie wird von beiden Labors benutzt. Er bewahrte sein Material bei uns auf.“
„Und wie sah er aus?“
„Wie?… Finster, wie gewöhnlich. Er trank einen Tee, dabei unterhielten wir uns. Er sei zu spät in die Wissenschaft eingestiegen, das Alter nahe…, Hör mal’, habe ich zu ihm gesagt, ,was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen? Du bist fünfundvierzig, was soll das Gerede vom Altwerden?’ Und Doktor Bresson schweigt.“
„Und sonst hat er nichts gesagt? Hat er nichts davon erwähnt, dass er am Abend nach Garvaregarden fahren wollte?“
„Weshalb hätte er mir das sagen sollen?“, wundert sich Doktor Falk. „Ich habe es doch gewusst.“
„Sie haben es gewusst?“ Ich staune meinerseits.
„Natürlich! Er hatte dort Versuche zu laufen, fuhr jeden Abend hin. In Garvaregarden ist unsere Nebenstelle für Gnotobionten.“
Das Wort habe ich schon gehört, aber was es bedeutet, ist mir unklar. Seinerzeit gab es in unseren Lehrbüchern keine solch dunklen Wörter.
„Gnotobionten“, erläutert Doktor Hanna Falk, „sind steril aufgezogene Tiere, ohne Kontakt zu Mikroorganismen, für spezielle immunologische Versuche… Eine Sklavenarbeit, ihre Aufzucht.“
Es zeigt sich, dass eine der Fragen, die ich für die komplizierteste hielt, sich von ganz allein klärt. Das Institut hat in Garvaregarden eine Nebenstelle. Solche Nebenstellen werden für gewöhnlich in Urlaubsorten errichtet, weit weg von der verschmutzten Stadtluft. Bresson habe die Genehmigung erhalten, eine Versuchsserie durchzuführen und sei – das habe sein Programm erfordert – zehn, zwölf Tage lang jeden Abend hingefahren.
„Wer arbeitet in dieser Nebenstelle?“
„Die beiden Engströms. Vater und Tochter.“
Das klingt mir auch ein bisschen ungewöhnlich, doch stellte sich heraus, dass das üblich ist. Man stelle nahe Verwandte ein und die lebten dort, weil der Dienst und die Pflege der Tiere eine absolute Spezialbeschäftigung seien.
„Sie meinen also, Doktor Bresson sei in diese Nebenstelle gefahren?“
„Ganz bestimmt.“
„Und wer wusste von diesen Fahrten?“
Doktor Falk stellte die Tasse mit ihrem Pseudokaffee ab. „Viele. Warum?“
„Ich muss es einfach wissen. Zählen Sie sie bitte auf, wenn es ihnen möglich ist.“
„Also… Zuerst – wir alle in den drei Labors. Doktor Hausen, die Laborantinnen. Dann Doktor Ivarsson. Nein, der war schon weg“, korrigiert sie sich.
„Ein bisschen genauer, wenn es geht.“
Über Doktor Hugo Ivarsson? Er leitet das Labor in der Radiologie, er führt die Bestrahlungen für unsere Versuche durch. Ein sympathischer, kluger Mann. Wir arbeiten sehr gut mit ihm zusammen.“
„Aber er ist nicht da?“, werfe ich ein.
„Ja, soviel ich weiß. Er soll am Tag zuvor weggefahren sein. Sonst noch… eigentlich sämtliche Assistenten von Doktor Ivarsson, sie kannten Doktor Bressons Serien.“
Und sie zählt auf: Frega Norberg, Biologin bei Ivarsson, von den Kuratoren der Oberkurator Kevin Nielsen, vielleicht auch noch ein paar andere, aber diese bestimmt. Sie sagt auch
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