Der Protektor (German Edition)
keine Umkehr mehr gibt. Die ersten, noch schwarz verschmierten Nummern liegen schon auf dem Schreibtisch des Chefs. Und Redakteure, Reporter und Korrektoren atmen erleichter auf.
Auch Erik Lundgren atmet auf. Gleich bei meinem Eintritt in das Klubcafé merke ich, wer es ist, obwohl ich ihn nicht kenne. Ohnedies sind nicht viele Besucher da. Der lange, schmale Raum ist durch Holzgitter unterteilt; irgendwer hat gehofft, dass es so gemütlicher wird, doch vergebens. Übrigens sieht mir dieses Klubcafé nicht gerade wie ein Klub für Kaffee aus. An der schreiend aufgemachten Bar lehnen zwei Junge Frauen in bestechend engen Jeans. Sie mustern mich blitzschnell und wenden sich ab. Richtig so.
Erik Lundgren sitzt in der Nische fast am Eingang, weiter weg vom Lärm. Er ist etwa vierzig, hat ein langes, unschönes Gesicht, Ansatz zur Glatze und trägt eine starke Brille, hinter der die Augen unverhältnismäßig groß wirken. Er sieht gescheit und irgendwie – ich kann es nicht genau definieren – eckig aus.
Auf dem Tisch vor ihm liegt ein Dutzend Fotos, daneben steht ein Glas Cola.
Ich stelle mich vor und bitte ihn, mir ein paar Minuten zu gewähren. Er starrt mich durch die Brille an. Dann rafft er mit einer Hand die Abzüge zusammen und deutet auf einen Stuhl am Tisch.
„Bitte.“
Inzwischen habe ich im Stillen die etwas merkwürdige Farbe der Cola und den Geruch von billigem Cognac registriert.
Wahrscheinlich ist das schon das zweite oder dritte Glas solcher Cola, denn Lundgrens Bewegungen sind verdächtig exakt und leicht verzögert.
Ich setze mich, und sofort kommt der Barmann blickt fragend auf Lundgren, um herauszubekommen, wie die Lage ist, und vor allem, was für eine Cola ich will, wird aber nicht schlau und verschwindet.
Lundgren studiert mich ein paar Sekunden, dann sagt er ohne sonderlichen Enthusiasmus: „So. Polizei, nicht wahr?“
„Experte, Arzt“, erkläre ich versöhnlich. „Für ein offizielles Gespräch. Wollen Sie meine Papiere sehen?“
Lundgren brummt etwas, das heißen soll, dass er auf Papiere pfeift, und hebt das Glas.
„Was wollen Sie wissen, Herr… hm, Experte?“
Als Antwort ziehe ich den Zeitungsausschnitt aus der Tasche und falte ihn auseinander.
„Das ist von Ihnen, nicht wahr?“
„Nehmen wir’s mal an.“
„Ausgezeichnetes Material“, sage ich aufrichtig. „Solche Reportagen werden nicht jeden Tag geschrieben.“
Er ist sich nicht im Klaren, ob ich im Ernst rede, und wartet für alle Fälle ab. Jetzt bringt der Barmann meine Cola. Ein neuer Blick und ein Heben der Brauen. („Verzieh dich!“)
„Herr Lundgren, ich bin ein Landsmann des tödlich verunglückten Arztes. Und mich beschäftigen einige Fragen sehr.“
Er schweigt, starrt mich mit seinem langen Gesicht und der Lupen-Brille an.
„Naja“, knurrt Lundgren schließlich. „Welche?“
Langsam streiche ich mit der Hand den Ausschnitt glatt.
„Die Hauptfrage: Wie haben Sie es geschafft, vor der Polizei am Unfallort zu sein? Wer hat Sie von dem Unfall unterrichtet?“
In seinen Augen blicken spöttische Fünkchen auf. Lundgren lehnt sich auf dem Stuhl zurück. Der Gedanke, der mir jetzt durch den Kopf geht, ist mir ein bisschen peinlich. Aber Lundgren hat etwas von einem Pferd. Er sieht wie ein intelligentes Pferd aus. Das Grinsen entblößt große, vorstehende Zähen.
„Meinen Glückwunsch. Eine genaue Diagnose, Herr Doktor.“
„Das war nicht so schwer. Aber trotzdem?“
„Berufsgeheimnis!“, erwidert Lundgren rätselhaft und trinkt seine Cola aus. „Also hat Sie mein alter Freund Öberg geschickt?“
„Nein, hat er nicht. Ich komme aus eigenem Antrieb.“
„Weil er mich jedes Mal fragt und sich schrecklich ärgert.“
Ich hebe die Hand zum Barmann hin, und als er mich bemerkt, zeige ich auf das Glas von Lundgren. Er nickt.
„Der Trick ist meine Erfindung“, fügt Lundgren hinzu. „Ich mag die Polizisten nicht, aber mit Ihnen kann man offenbar vernünftig reden.“
Diese Charakteristiken lasse ich an meinen Ohren vorüberrauschen.
„Nun? Was ist das für ein Trick?“
„Also… stellen Sie sich vor“, beginnt er, „dass es schon neun Uhr abends ist. Um halb elf, spätestens um elf muss ich dem Chef meine hundert Zeilen liefern.“ Er zeigt mit dem Daumen hinter sich, zur anderen Straßenseite, wo die Redaktion ist. „Oscar Peters wartet, fuchsteufelswild, und ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie ich mir diese hundert Zeilen aus den Fingern saugen kann. Was meinen
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