Der Protektor (German Edition)
Aber das überprüfe ich später; jetzt setze ich mich auf den Sitz neben Hedlund.
„Fahren wir!“, schlage ich vor. „Haben Sie die Skizzen und Fotos mit?“
Hedlund hat alles Nötige mitgebracht. Er gibt Gas, biegt um die Pension, und wir fahren am Hafen entlang abwärts. Hinter den flachen Lagerschuppen ragen Schiffsrümpfe und Kräne empor. Es riecht scharf nach Teer, Wasserpflanzen und Erdöl. Man hört das erstickende Heulen einer Sirene und das Donnern eiserner Räder. Irgendwo in der Nähe fährt ein Zug.
Er fährt über uns, denn wir befinden uns auf der zweigeschossigen Brücke, flankiert von massiven Geländern, unten glitzert das dunkelblaue Wasser – ein Meeresarm – halb Kronsgatan ist auf kleinen Inseln erbaut.
Die Geländer verschwinden so plötzlich wie sie erschienen sind. Links bleibt der Meeresarm – er funkelt durch die Baumkronen, und die Straße wird zu einer breiten, asphaltierten Chaussee. Rechts sind Wiesen, silbrig blaue Kiefernwälder und weiße, spitzgieblige Wochenendhäuschen. Ein frischer Wind schlägt mir durch das Seitenfenster ins Gesicht.
Die Wiesen werden immer abschüssiger, die graugrünen Gebirgsgrate am Horizont rücken näher und drängen die Straße zum Meer hinab. Wochenendhäuschen sind kaum noch zu sehen.
„Wir sind gleich da“, sagt Hedlund. „Hier ist es, hinter der Kurve.“
Rechts liegt eine kleine Ausbuchtung eines Parkplatzes, links ist ein verhältnismäßig hoher Steilhang – unten leuchtet blau ein Arm der Meeresbucht. Ein Hinweiszeichen auf eine Rechtskurve, und die Straße macht eine recht scharfe Biegung.
Hedlund nimmt den Fuß vom Gaspedal, durchfährt die Kurve und lenkt den Volvo ganz nach rechts, fast völlig auf den schmalen Randstreifen.
Zunächst steige ich nicht aus, ich will die Stelle vom Auto aus betrachten, so wie sie Bresson in seinen letzten Sekunden gesehen hat.
Der Steilhang reicht fast bis an die Straße. Krumme, knorrige Kiefern haben sich an ihm festgekrallt.
Zwei milchweiße, durchgehende Streifen teilen die Fahrbahn, auf der anderen Seite wird die Straße von niedrigen, aber soliden Leitplanken eingefasst.
Wenn es irgendwo zu einem Unfall kommen sollte, dann hier. Ein Fahrer, der diese Kurve nimmt und die Gewalt über das Fahrzeug verliert, muss unweigerlich auf die linke Seite geraten. Im günstigsten Fall prallt er gegen die Leitplanken mit allen denkbaren Folgen.
Ich steige aus, lasse zwei Autos vorbeifahren und überquere die Fahrbahn. Es ist klar, wo es war, auf dem Asphalt glitzern immer noch die Glasstückchen. Die Autos, die schon zwei Tage darüberfahren, haben sie nicht sehr verteilen können.
Hedlund kommt ebenfalls herüber und beginnt mir die Stellung der Fahrzeuge zu erklären. Ich hole die Skizzen hervor.
So ist es. Bresson hat wahrscheinlich kurz vor der Kurve die Gewalt über das Auto verloren. Aber er hat die Scheinwerfer des Lasters gesehen. Und dessen Fahrer müsste Bressons Lichter bemerkt haben. Er hat die Geschwindigkeit nicht vermindert, weil er nichts Bedrohliches vermutet hat. Erst als ihm das Auto plötzlich entgegen kam, hat er mit aller Kraft gebremst.
Man sieht die Bremsspuren des Lasters, dicke, schwarze Streifen. Ich schätze nach Augenmaß ihre Länge ab, schaue dann auf die Skizze. Bei solchen Bremsspuren war die Geschwindigkeit etwa achtzig Stundenkilometer. Nur das der Zusammenstoß mit einem schwer beladenen Lkw wie der Aufprall auf einen Tank ist.
„Was meinen Sie, wäre geschehen, wenn der Laster nicht gewesen wäre?“
Meine Frage ist an Hedlund gerichtet. Er lässt den Blick über die Bremsspuren wandern, schätzt die Entfernung von der Kurve bis hierhin ab, dann äußert er vorsichtig: „Wissen Sie, das ist schwer zu sagen… Vielleicht wäre der Wagen an der Leitplanke zum Stehen gekommen. Es hat aber auch einen Fall gegeben, ich habe es im Archiv gefunden, wo sich ein Kleinbus überschlagen hat und hinuntergestürzt ist.“
Er deutet mit den Augen auf den Steilhang, der bestimmt über fünfzig Meter tief ist. Ein Fahrer, der mit seinem Auto da hinunterstürzt, kommt nicht bloß mit ein paar Schrammen davon.
„Ist klar", sage ich. „Sind Sie ein guter Fahrer?“
„Ich glaube schon. Warum. Herr Inspecteur?“, fragt er verwundert.
„Um zu wenden und ohne zu bremsen in die Kurve zu gehen.“
Was ich will, ist ein bisschen gewagt. Das technische Gutachten hat die Geschwindigkeit Bressons annähernd errechnet – etwa neunzig Kilometer in der Stunde. Für eine
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