Der Protektor (German Edition)
normale Straße nicht übertrieben hoch. Selbst, wenn sie die Zahlen ein bisschen aufgestockt haben (um ihren Lkw-Fahrer zu rechtfertigen), ist die Differenz wohl kaum von Bedeutung. Das weiß ich, doch ich möchte das Gefühl empfinden, mich einfach an Bressons Stelle versetzen.
Hedlund wartet den Gegenverkehr ab und wendet. Wir kehren hundert Meter vor die Kurve zurück, er dreht wieder und tritt aufs Gas. Der Volvo heult auf und beschleunigt. Die Felsen huschen an der Seite vorbei, ich habe das Gefühl, mich nicht auf dem Sitz halten zu können und fasse instinktiv an das Armaturenbrett.
In diesem Augenblick tritt Hedlund dann doch auf die Bremse und reißt das Lenkrad herum. Die Sperrlinien sind längst überfahren, hundert Meter vor uns taucht ein Sportwagen auf. Er fegt an uns vorbei, der empörte Fahrer macht eine vielsagende Geste, die auf allen Straßen der Welt dasselbe bedeuten.
Der ganze Versuch hat nicht länger als fünfzehn Sekunden gedauert.
Hedlund hält am Straßenrand und sieht mich an.
„Es ist unmöglich, Herr Inspecteur. Bei so einer Geschwindigkeit… ich bin nicht sehr sicher, aber da kann man die Kurve nicht richtig nehmen.“
Fünfzehn oder zwanzig Sekunden. Die Zeit, in der der heftige, plötzliche Anfall kommt. Der Schmerz ist schrecklich, wie ein Messerstich, der Atem setzt aus, man sieht nichts, man weiß nichts. Die erste Regung ist, sich an die Brust zu fassen. Das hat Bresson getan. Und der Wagen fuhr mit neunzig Kilometern pro Stunde und war schon nicht mehr zu beherrschen.
Bresson hat die Kurve überhaupt nicht nehmen können, sein Schicksal war bereits hundert Meter vorher entschieden.
Und hundert Meter vorher war die Parkbucht. Kann sein, dass da gar kein Zusammenhang besteht, aber das Zusammentreffen will mir nicht gefallen.
Eine gefährlichere Stelle für einen Unfall kann man sich kaum denken. Eine Stelle, an dem ein unbequemer aus dem Weg geräumt wird.
„Wir können zurückfahren“, sage ich. „Und die Plätze tauschen.“
Hedlund steigt aus und geht um den Wagen herum, ich rutsche auf den anderen Sitz. Mit dem Fuß prüfe ich Kupplung und Bremspedal. Immerhin ist es ein völlig unbekannter Wagen. Doch er ist verhältnismäßig neu und, wie ich mich bereits überzeugen konnte, recht spritzig.
Auf der Rückfahrt schweigen wir die meiste Zeit. Hedlund bittet um die Erlaubnis, rauchen zu dürfen, ich überdenke, was ich gesehen und empfunden habe.
Ein unvermeidlicher Unfall, und zwar ein schwerer. Das macht mich nicht nur argwöhnisch, sondern sicher, dass die Stelle ausgesucht wurde. Und das Zusammentreffen der Umstände ist kein gewöhnliches, wenn ein Auto unter Beobachtung steht.
Ich muss ins Kommissariat zurück und mich mit Bressons Auto beschäftigen. Zentimeter für Zentimeter, Winkel für Winkel muss ich absuchen. Und das muss sofort geschehen, ich bin sogar schon zu spät dran.
Wir erreichen die Stadt. Obwohl ich mich schon zurechtfinde, bitte ich Hedlund, mir vorzusagen. Wir umfahren die Pension von UNIKS, finden einen winzigen freien Platz, und ich stelle den Wagen da ab.
„Kollege Hedlund“, sage ich, „warten Sie auf mich in der Garage des Kommissariats. Ich gehe nur mal schnell hinüber und komme gleich nach.“
Hedlund nickt und geht auf die nächste Querstraße zu, ich fahre rasch in mein Zimmer hinauf. Ich muss ein bisschen im Koffer kramen und zwei, drei Seiten in einem Nachschlagewerk überfliegen.
Das Zimmer ist so, wie ich es verlassen habe. Niemand war drin, das Zimmermädchen hat wahrscheinlich erfreut an der Klinke das Pappmännchen mit dem Finger auf dem Mund gesehen. Für alle Fälle nehme ich eine kleine Überprüfung meiner Gerätschaften an der Tür vor. Dann greife ich zu dem Handtuch, sehe die Seiten eines Kapitels durch, das die Überschrift „Inkapazitantia“ trägt, und mache mich fertig – ich packe ein paar notwendige Dinge in das Köfferchen. Es zeigt sich, dass ich nicht alles habe, was ich haben müsste, und das wird meine Arbeit ziemlich erschweren.
Aber ich werde allein arbeiten. Gerade bei dieser Spurensuche will ich keine Leute aus Öbergs Labor hinzuziehen.
Ich hänge das warnende Kartonmännchen an die Klinke und mache mich auf den Weg.
Hedlund wartet an der Garageneinfahrt auf mich. Der ältere Polizist nimmt Haltung an, prüft aber wieder pedantisch unsere Papiere.
Für mich wird es Zeit, Hedlund einen Auftrag zu geben.
„Kollege“, sage ich, „könnte ich eine Aufstellung der Unfälle
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