Der Protektor (German Edition)
Schreibtisch. „Charlie Hedlund hat diesen Umschlag für Sie dagelassen. Sie hätten um irgendwelche Aufnahmen und Listen gebeten.“
Ich stecke den Umschlag ein und überlege.
„Wissen Sie“, sage ich, „ich hätte noch eine Bitte. Charlie Hedlund soll mir eine Aufstellung der schwereren Fälle in letzter Zeit machen. Von denen, die noch nicht geklärt sind. Morde, Vermisste… in dieser Art. Und das Sie mir, wenn möglich, die neuen mitteilen. Es könnte sein, dass ich sie zum Vergleich heranziehen muss.“
„Ich gebe einen Auftrag.“ Öberg nickt. „Verstehe, Sie suchen Zusammenhänge.“
Wir verabschieden uns, und eine Minute später sitze ich im Volvo, schaue dabei auf meine Uhr, genauer, auf den bewussten Zeiger.
Nein, niemand hat mich bis jetzt seiner Aufmerksamkeit für wert befunden.
Jetzt habe ich mehrere Möglichkeiten und muss die erfolgversprechende suchen. Und die unaufschiebbare, denn ich spüre, dass sich die Kopfschmerzen nachdrücklich bemerkbar machen – heute war ein vollgepackter, anstrengender Tag, und es bleibt noch allerhand zu erledigen.
Am besten ich fahre in die Pension und sehe mir Bressons Zimmer noch einmal an. Es könnte doch sein, dass sich jemand dafür interessiert hat.
Das Zimmer ist so, wie ich es am Abend verlassen habe. Niemand ist drin gewesen – das meint meine Mikrotechnik. Im gelben Licht der Wandlampe sieht drinnen alles normal und ruhig aus – der Schreibtisch mit den Zeitschriftenstößen, das nachlässig gemachte Bett, der Computer mit den Papierbögen darunter. Als sei Bresson soeben aufgestanden und hinausgegangen, um mit einem Kollegen zu sprechen oder im Office einen Kaffee zu trinken. Sogar die Blumen in der Vase sind noch nicht verwelkt. Ihr herber Duft empfängt mich schon an der Tür.
Ich setze mich in den Sessel und entspanne mich für eine Minute, ich muss meine Gedanken ordnen. In meinen Kopf drehen sich die Bilder des Tages. Hedlund und das Experiment auf der Landstraße, die unheimlichen Funde in dem Autowrack, die Arbeit an den Protokollen im Institut, Tyra und das merkwürdige Versehen mit den Seren. Dann die Begegnung in der Radiologie. Kevin. Warum steht Kevin, der Kurator dieser unterirdischen Gelasse, vor meinen Augen?
Schließlich Petersens Labor, die Gesichtsmasken und die toten Tiere. Und das Gefühl, dass ich es mit Leuten zu tun habe, die viel stärker sind als ich. Leute außerhalb meines Gesichtsfeldes, die von der Seite sehr aufmerksam mein Tun beobachten.
Ich kenne diese Stimmungen. Sie kommen von der Müdigkeit und dem Fehlen einer sicheren Spur. Sie gehen vorbei. Eigentlich habe ich ja schon etwas. Die bedrückende Überzeugung, dass Bresson umgebracht wurde, und dass der, der das getan hat, seinen Auftrag nicht vollständig ausgeführt hat. Deshalb muss er sich hier, in dieser Stadt aufhalten. Und vielleicht lässt er sich täuschen und steckt die Hand in die Falle, die ich ihm gestellt habe. Wenn uns nur die Falle nicht teuer zu stehen kommt!
Ich nehme Papier aus dem Koffer und beginne, Faxe nach Paris zu schreiben. Ich kann nur vermuten, was das eine bewirken wird, wenn es morgen auf dem Schreibtisch des Ministers liegt. Bis dahin hat er immer noch gehofft, dass nichts weiter hinter der Geschichte mit Yanis Bresson steckt. Und ich stelle mir vor, was dann folgt.
Nachher werde ich sie senden, jetzt hole ich ein Foto nach dem anderen aus dem Umschlag und sehe sie mir an. Ich kenne sie ja. Jetzt sind sie nur stärker vergrößert, und man erkennt einige Details. Ich muss zufrieden sein, Charlie Hedlund hat genaue Anforderungen gestellt. Die etwas unscharfen Stellen sind mit einer Spezialkamera neu aufgenommen worden, und man hat herausgeholt, was herauszuholen war.
Die Landstraße mit den Autos. Zwei Männer, die den toten Bresson herausziehen. Der stumpfnasige Lastwagen und der Fahrer, der auf dem Lenkrad die Hände vors Gesicht geschlagen hat. Die Tragbahre mit Yanis. Wieder der Laster, der Fahrer liegt auf dem Asphalt zwischen Glassplittern. Die Autos daneben. Die Polizei trifft ein, der Polizist mit dem weißen Helm sorgt für Ordnung.
Ich wende mich erneut den ersten Fotos zu. An dem Laster ist etwas, das mich stört – wahrscheinlich liegt es an seiner Stellung oder an den weit offenen Türen.
Ich kann nicht sagen, was es ist, aber es erscheint mir seltsam. Ich raffe zusammen, was von meinem müden Denkvermögen noch übrig ist, strenge mich an, aber vergebens. Ich unterdrücke einen ärgerlichen Seufzer
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