Der Protektor (German Edition)
kann. In den kommenden Stunden brauche ich einen klaren Kopf.
Aus einem Dutzend möglicher Züge muss ich einen einzigen und nur den richtigen wählen. Sonst bin auch ich geliefert.
Doktor Petersen lässt sich Zeit. Er setzt sich hinter den Schreibtisch und fordert uns zum Setzen auf. Wortlos sieht er Öberg an, danach mich.
„Ich denke, es ist offensichtlich. Natürlich“ – er nickt zu Sauer hin – „wird der Kollege die Sektion vornehmen, aber es war auch so schon klar. Eine gefährliche… Schmuggelware.“ Es liegt auf der Hand, dass es keine Schmuggelware ist, doch auf diese Weise bedeutet uns Petersen, dass er seine Zunge im Zaum halten wird. Er hat in diesem Labor schon viel gesehen und weiß, was er zu sagen hat. Außerdem weiß er, dass das Leben unvorsichtiger Spezialisten allerlei Wechselfällen ausgesetzt ist.
Öberg greift die Version von der gefährlichen Schmuggelware auf, und wir tauschen einen Blick. Nein, ein Protokoll sei nicht erforderlich, es liege nicht im Interesse der Ermittlungen. Doktor Bouché werde Anfang nächster Woche vorbeikommen, falls es nötig sein sollte. Das, was wir gesehen hätten, genüge uns.
Petersen wundert sich nicht. Er nimmt nur ein Formular aus dem Schubfach und füllt es aus, dann gibt er es Öberg.
„Bitte!“
Ich sitze neben ihm und sehe – das ist die Rechnung. Kosten für Tiere, Honorar, Zuschlag für besonders gefährliche Stoffe. Eine hübsche, runde Summe. Und mir wird klar, warum sie den Versuch doch übernommen und uns nicht dahin und dorthin geschickt haben. Jetzt müssen wir beide unterschreiben, was wir kommentarlos tun.
Die Hausherren bringen uns zur Tür, der Polizist hebt die Hand zum Gruß.
Draußen ist ein klarer, kühler Abend. Am ungewöhnlichen violetten Himmel funkeln wie Metallstückchen ein paar Sterne. Unten im Hafen drehen sich im kalten Licht der Scheinwerfer klirrend die Eisengeflechte der Kräne.
„Haben Sie ein bisschen Zeit?“, frage ich Öberg. „Es wäre gut, einige Dinge zu überdenken.“
„Ja, das sollten wir“, pflichtet er mir bei. „Jetzt… müssen wir den Plan ändern, nicht wahr?“
Auf dem Weg zum Wagen knurrt er dann: „Und wie das nur eingefädelt war… Eine doppelte Falle, wie bei den Halb Frau halb Vogel, erinnern Sie sich?“
Unwillkürlich sehe ich ihn an. Ich glaube, mich verhört zu haben. Doch er wiederholt: „Die Vogelfrauen. Mit ihren doppelten Fallen.“
Das habe ich nicht erwartet. In jungen Jahren galt meine Vorliebe der Mythologie, und ich habe einfach nicht erwartet, dass ein Provinzkommissar wie er die griechischen Sagen kennt. Diese Wesen halb Frau, halb Vogel, die mit dem Nordwind daherkamen, stellten Fallen auf, mit denen sie verirrte Wanderer einfingen. Nur waren das besondere Fallen, doppelte. Und gerade, wenn das Opfer dachte, es sei der Falle entkommen, geriet es in die zweite , die todbringende.
Die Fallen sind für uns gemacht. Die erste war der Unfall, die zweite der heimtückisch vorgetäuschte Infarkt.
Öberg hat noch etwas anderes im Sinn. Was genau, das erwarte ich zu erfahren, als wir uns in seinen Arbeitszimmer hinsetzen. Er lässt sich mit der Erklärung Zeit. In einer modernen Espressomaschine kocht er Kaffee, gießt uns beiden ein, dann nimmt er die mir schon bekannte Flasche aus dem Schubfach und tut sich – nach meiner ablehnenden Geste – selbst einen gehörigen Schuss in den Kaffee.
„So!“, sagt er. „Herr Kollege, wir haben hinsichtlich ihrer Vollmachten keine Vorbehalte. Sie sind vom Department bestätigt. Wünschen Sie eine Vergrößerung Ihrer Arbeitsgruppe… im Zusammenhang mit den soeben erhaltenen Fakten?“
Die offizielle Sprache, die er sich auf einmal bedient, kann annähernd so übersetzt werden: Lieber Kollege, Sie haben einen Mord bewiesen. Großartig. Nur, dass dies ein Wissenschaftler Ihres Landes ist und wir, beziehungsweise ich, uns in dieser Sache nicht mehr engagieren wollen. Wir sind Ihnen in allem behilflich, aber die Verantwortung Ihrem Land und unserer Öffentlichkeit gegenüber, die tragen Sie. Sind Sie einverstanden oder nicht?
„Ich werde meine Mitarbeiterin aus Paris kommen lassen müssen, Assistentin Sophie Durand“, beginne ich.
„Wann Sie es wünschen.“
„Und zweitens: Ich brauche noch jemanden von Ihren Leuten. Einen erfahrenen Monteur. Der Geduld hat. Glauben Sie, dass die beiden im Labor den Mund halten werden?“
„Unbedingt“, versichert mir Öberg. „Jeder von ihnen weiß, dass er seine Haut
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