Der Protektor (German Edition)
jetzt an die Oberfläche. Ich versuche, mich zur Ruhe zu zwingen und die Lage nüchtern zu betrachten, weiß aber, dass ich in den folgenden Stunden wahrscheinlich einen sicheren Beweis erhalten werde, und der wird den Verlauf der weiteren Ermittlungen bestimmen.
Öbergs rundes Gesicht verfinstert sich noch mehr. Er ist auch nicht sehr gesprächig. Er nimmt den Telefonhörer ab und bestellt den Wagen.
Fünfzehn Minuten später halten wir am Hafen vor einem grauen, viergeschossigen Gebäude mit einer trübseligen Fassade und kleinen Fenstern. Anders kann es nicht sein – Zollbehörden gleichen sich auf der ganzen Welt durch ihre Anmut.
Die Drogenlabore sind in der dritten Etage, und hinter der scheinbar gewöhnlichen Tür ist ein Doppelgitter. Ein Stück abseits geht ein uniformierter Polizist auf und ab.
Das biologische Labor ist nicht groß, aber man sieht auf den ersten Blick, dass es reichhaltig ausgestattet ist. Die Mikroskope auf den Tischen sind vom neuesten Modell, hinten an der Wand ist eine Doppelkammer zur Arbeit mit gefährlichen Stoffen. Es glänzt vor Sauberkeit, überall schwebt ätzender, scharfer Formalingeruch.
Jacob Öberg ist hier gut bekannt. Er stellt mich den Leuten im Labor vor – einem älteren Chemiker, hager wie von den Chemikalien ausgedörrt, einem jungen Biologen und einer Frau um die fünfzig, die sich als Laborantin herausstellt. Dann lässt er sich in einen weichen Sessel fallen und überlässt die weiteren Verhandlungen mir.
Wie abgesprochen, bringe ich eine halbwegs glaubwürdige These von Schmuggelware vor, von Durchsuchungen und so weiter und nehme zwei von meinen Röhrchen aus der Tasche. Der Chemiker Petersen – er stellt sich als Doktor der Chemie heraus – betrachtet sie, verlangt noch ein paar zusätzliche Angaben, dann berät er sich leise mit dem Biologen. Ich verstehe ihre Schwierigkeiten – das sind neue Gifte, davon steht nichts in den Handbüchern, der Versuch muss nach Analogie vorgenommen werden. Der Versuch selbst ist eine Angelegenheit von zehn Minuten, doch die Vorbereitung ist außerordentlich schwierig und gefährlich.
Schließlich entscheiden sie sich für eine Methode. Sie ist sicherlich nicht die beste, aber unter den gegebenen Umständen ausreichend.
Es beginnt eine entsetzlich lange Stunde, in der Öberg immerzu auf den Gang hinaus geht und raucht, während ich an den Doppelwänden der Kammer stehe und angespannt verfolge, was Petersen und der Biologe Sauer drinnen machen.
Beide tragen Atemschutzmasken, Labor Schutzschürze aus beidseitig PVC-beschichtetem hochreißfestem Trägermaterial und starke Nitril Einmalhandschuhe, ihre Bewegungen sind langsam wie in einem Horrorfilm.
Die Laborantin hat einen Käfig mit sechs Meerschweinchen gebracht. Es sind sanfte und liebe Tiere – früher wanderten ihre Vorväter zu den Jahrmärkten Europas und zogen auf den Leierkästen Glückszettel. Jetzt braucht sie das Glück nicht mehr.
Die feierliche Handlung mit den Glasschuppen geht ihrem Ende entgegen. Petersen nimmt den Käfig und holt ein Tier nach dem anderen heraus. Sauer verteilt sie unter sechs Glasglocken. Die Meerschweinchen drehen sich unter den Glocken, in diesen ungewohnten, durchsichtigen Fallen. Öberg ist neben mich getreten, das Gesicht zu einer stummen Grimasse verzogen.
Die Bilder des Horrorfilms wechseln wieder langsam, Petersen und Sauer führen den Versuch aus und treten zurück, damit wir besser sehen können. Es vergehen zehn Sekunden.
Dann krümmt sich eins der Meerschweinchen und kippt wie gefällt um – nur ein paar Zuckungen.
Öberg entfährt ein Ausruf. Inzwischen fällt das zweite Tier um und fast unmittelbar darauf das dritte. Die Tiere in den übrigen drei Glocken dienen der Gegenkontrolle, sie leben. Kalte Schauer kriechen mir über den Rücken, ich mache wie gelähmt ein paar Schritte zur Seite, beuge mich noch dichter an die Glaswände. Die Anpassung verschwindet, von der momentanen Angst ausgelöst, dann geht die Angst in finstere Entschlossenheit über. Kein Zweifel mehr, ich kann mir nichts mehr vormachen. Bresson ist umgebracht worden. Kaltblütig, mit teuflischer Berechnung. Ort und Zeit waren vorbestimmt, und der Schlag wurde sicher geführt.
Die beiden, Petersen und Sauer, kommen heraus. Sie nehmen die Masken und Handschuhe im Vorraum der Kammer ab, erhalten ihr menschliches Ansehen zurück. Ich richte mich langsam auf und versuche, mich zu beherrschen. Jetzt sind Zorn und Wut das letzte, was ich mir leisten
Weitere Kostenlose Bücher