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Der Protektor (German Edition)

Der Protektor (German Edition)

Titel: Der Protektor (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina Czarnowske
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überschütten ihren Gesprächspartner mit billigen Prahlereien und hochtönenden Hoffnungen, andere lassen den Kopf hängen, denen sieht man die unglückliche Wahrheit sofort an. Popescu, der mir gegenübersitzt, sieht weder hochgestimmt noch niedergedrückt aus, ist nur geistig müde, apathisch in seiner Umwelt gegenüber.
    Weiterhin verläuft alles wie gewöhnlich. Er erzählt mir, warum er geflohen ist. Er stammt aus einem Dorf bei Calafat, nach seiner Kollektivierung gab es ein heilloses Durcheinander und Armut. Zu dritt seien sie geflohen, zwei beträchtlich ältere Männer und er, achtzehn Jahre alt, fast noch ein Junge. Sie seien durch die Lager in Österreich gegangen, man habe versucht, ihn anzuwerben, er habe abgelehnt.
    Seine Stimme ist gleichmäßig, tonlos.
    Alles ist vorbei, längst ausgeglüht, geblieben ist nur eine nicht so gute Erinnerung.
    „Was ich alles durchgemacht habe… Sie haben mich nach Schiltal, ins Bergwerk gesteckt. Wissen Sie, wo Schiltal ist?“
    Ich gebe keine Antwort, er erwartet auch keine. Er hält die Bierbüchse in der Hand, bemerkt sie aber nicht.
    „Dort bin ich krank geworden… Na ja, hatte noch Glück dabei, das einzige Glück in meinem Leben. Ich fand eine Frau, wir haben geheiratet, dann sind wir hierher gekommen. Sie ist eine gute Frau. Nur dass ich… langsam alt werde und nicht mehr derselbe bin.“
    Er wacht gleichsam auf, sieht sich um und nimmt einen Schluck von dem Bier.
    In mir sträubt sich etwas, aber ich glaube ihm. Manchmal denken sich Leute wie er eine Geschichte aus und leben dann mit ihr. Sie erzählen sie Dutzende, Hunderte Male, jedem, dem sie begegnen. Sie wird zur Wahrheit, das andere schwindet aus dem Gedächtnis.
    „Und wie wird es wohl jetzt dort aussehen?“, erkundigte er sich.
    „Wie…? Behutsam werfe ich ein: „Waren Sie schon auf ihrer Botschaft?“
    „War ich. Kehren Sie zurück, sagen sie. Nehmen Sie Frau und Kinder und kehren Sie zurück. Was gewesen ist, ist gewesen, die Heimat verzeiht, und Arbeit, soviel Sie wollen.“
    „Ich bin Franzose und kenne mich gar nicht in Rumänien aus, aber vielleicht hat man Ihnen gut geraten.“
    „Wo soll ich hin? Immer wird man mich schief ansehen: Da seht ihr, der hat die Fremde satt oder kam nicht klar in der Fremde, jetzt kommt er wieder her… Und was weiß ich schon, was kann ich? Nichts. Die Töchter, die Frau, sie wären auch Fremde, es wäre bloß eine Qual für sie… Ja, so ist das! Entschuldigen Sie, wollten hier bloß was essen, und ich…“
    Er stellt die Büchse auf den Tisch und steht auf.
    „Bekommen Sie keine Zeitung?“, frage ich.
    Popescu schüttelt den Kopf.
    „Zeitungen?… Kriege ich. Bloß, Zeitungen sind was anderes. Also dann, wenn Sie ihr Weg wieder mal hier vorbeiführt, kommen Sie herein.“
    Ich lege eine Münze unter das Tablett. Er bemerkt es, es ist ihm unangenehm, aber er sagt nichts.
    Ich trete auf die Straße, nehme einen kleinen Stadtplan aus der Tasche und versuche mich zu orientieren, wie ich am schnellsten zum Kommissariat gelangen kann. Die Entfernung scheint nicht groß, ich muss wieder über den Platz. Ich gehe am Park entlang, und in meinen Gedanken sind Popescu, das ferne Dorf bei Calafat in jenen Jahren, der Kummer, der ihn krankgemacht hat und für den es keinen Ausweg gibt. Ich habe mich schlecht benommen, am liebsten würde ich umkehren und noch einmal mit ihm sprechen. Wenigstens zwei mitfühlende Worte hätte ich ihm sagen können, wenn ich ihm schon keinen Rat geben konnte.
    Aber ich kehre nicht um. Und allmählich tritt die Imbissstube mit wachsender Entfernung in den Hintergrund. Sie wird durch die neue Feststellung verdrängt – die unangenehme Tatsache, dass in Ivarssons Wohnung jemand ist, der in die Handlung eingreift.
     
    Jacob Öberg begegne ich auf der Treppe des Kommissariats - in Eile, mit Tasche, den Trenchcoat über den Arm. Wir wechseln nur ein paar Worte. Er geht zur Autopsie von Oscar Matson.
    „Ist bei Ihnen etwas?“, erkundigt er sich, und seine grauen Augen fixieren mich.
    „Unser Fahrer“, sage ich, „der in der Chirurgie, kennt Matson. Hat ihn gekannt.“
    Öberg verzieht die Lippen.
    „Kein Wunder, eine Menge Leute haben diesen Matson gekannt. Darunter auch ich.“
    „Schon möglich. Aber warum musste Andersson diese Bekanntschaft leugnen?“
    „Meinen Sie? Naja…“, erwidert Öberg gedehnt, legt die Tasche auf die Knie und langt hinein. „Ich habe hier eine Liste. Da haben Sie den Durchschlag. Matsons

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