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Der Protektor (German Edition)

Der Protektor (German Edition)

Titel: Der Protektor (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina Czarnowske
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umsonst war. Der Pförtner schaut in sein winziges Käfterchen und nimmt einen Umschlag aus der Fächerwand.
    „Der Herr Oberkurator ist schon gegangen, hat aber diesen Umschlag für Sie hinterlegt. Er wusste, dass Sie kommen würden.“
    Das ist die alte Schule! Er hat es versprochen und genau zum Termin gehalten. Ich mag diese Art Pedanterie, die keine Mahnungen braucht und sich nicht mit unvorhergesehenen Verpflichtungen entschuldigt.
    Ich stecke den Umschlag ein und steige zu Frau Traugott ins Labor von Doktor Ivarsson in den zweiten Stock hinauf. Dort betrete ich einen weiten, hellen Raum und versuche, den Eindruck zu definieren, den Helene Traugott auf mich macht.
    Helene Traugott ist nicht hübsch, eher würde ich sagen, sie ist interessant. An die Dreißig, gut gebaut und offensichtlich intelligent. Sie hat blondes Haar mit einem rötlichen Schimmer, warme, geistvolle Züge und braune Augen, die mich aufmerksam abschätzen, während sie mir die Hand gibt. Man spürt in jeder ihrer Bewegungen, dass sie hier das Sagen hat. Mir persönlich ist sie sympathisch.
    Ich erkläre, wer ich bin (überflüssig, denn sie weiß das!) und komme zur Sache. Mich interessieren die gemeinsamen Versuche von Doktor Ivarsson und unserem Kollegen. Dürfte ich mal die Protokolle einsehen?
    „Selbstverständlich!“ Frau Traugott nickt. „Werden Sie meine Hilfe benötigen?“
    Keine Spur von Distanz, die Frau Falk hielt. Und die Hilfe werde ich brauchen, die Protokolle sind in ihrer Sprache abgefasst, wir reden in diesem Mischdiom, das ich mit Charlie Hedlund so erfolgreich anwende.
    Wir setzen uns vor das Journal, ich suche und vergleiche nach meinen Notizen und begreife allmählich, was die Frauen gegen diese nicht sonderlich hübsche Helene Traugott aufbringt. Sie beherrscht eine prähistorische Kunst: Bei ihr fühlen sich die Männer als Männer – allwissend, klug, Herren der Lage. Und sie macht das unaufdringlich, wie etwas, das sich von selbst versteht. So einer Frau bin ich lange nicht begegnet, mich hat das Schicksal immer mit der anderen Sorte zusammengeführt – denen, die ihren Intellekt wie eine Kriegsflagge schwenken.
    Ich kann mir Leo Hausen mit seiner Selbstgefälligkeit und sie gut vorstellen. Nicht Ivarsson war unwiderstehlich, sondern Helene Traugott. Die Rollen sind vertauscht worden, unser Herzensbrecher hat sich einfach wie eine Fliege im Spinnennetz ihrer weiblichen Unterordnung gefangen.
    Ich sehe die Protokolle durch, höre mir ihre sparsamen Erklärungen an und begreife allmählich, dass ich hier nichts finden werde. Ich weiß nicht, ob Ivarsson mittelmäßig ist, zumindest seine Journale deuten auf Mittelmäßigkeit hin. Alles ist allzu exakt, allzu klar. Das eine wird bestätigt, das andere verworfen, die Schlussfolgerungen halten sich im Rahmen des Allgemeingültigen. Die nebelhaften, abseitigen und auf ihre Art kühnen Gedanken Yanis sind gegen die Wand dieses Labors geprallt, zum Oberkurator hinuntergewandert und gestorben. Und Yanni hat an das Wunder geglaubt. Aber damit es Wunder geben kann, müssen Menschen da sein, die ein klein wenig verrückt sind.
    „Sehen Sie, Frau Traugott“, sage ich nach einer Weile und hole die Abschnitte hervor, „hier sind ein paar Berechnungen. Könnten Sie mir die erklären? Sie beziehen sich offenbar auf die Bestrahlungen.“
    Sie sieht sich die Zahlen an, die Texte kann sie nicht lesen.
    „Ich will es versuchen. Sie helfen mir doch?“
    Wie sie das nur sagt: Sie helfen mir doch?… Mein Wissen steht auf dem Niveau des Universitätskurses über Radiologie, sie weiß wenigstens dreimal mehr als ich. Sie nimmt einen Taschenrechner aus dem Schreibtisch und beginnt gleich die Tasten zudrücken. In dem grünen Feld leuchten rubinrote Zahlen auf und wechseln mit unheimlicher Geschwindigkeit. Meine hoch qualifizierte Hilfe bei dieser Operation besteht darin: Die Zahlen aufzuschreiben, was sie ganz ernst nimmt.
    „Das verstehe ich nicht“, sagt Frau Traugott, als sie am Ende die Zahlenreihen betrachtet, die ich notiert habe. „Ich finde, die Dosen sind reichlich hoch.“
    „Inwiefern?“
    „Ich weiß nicht recht. Aber wenn man das Gewicht der Tiere betrachtet, sind sie wahrscheinlich fast doppelt.“
    Das ist neu! Ist das der Fehler, den Bresson vermerkt hat? Und wo wurde er gemacht?
    Das muss ich in der Kopie prüfen, die Kevin für mich dagelassen hat.
    Erst einmal zeige ich mich nicht besonders interessiert an diesen Berechnungen. Ich stecke nur den Zettel mit

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