Der Protektor (German Edition)
der Tür offenbar nicht, denn der Spion wird geschlossen, und die Schritte schicken sich zum Rückzug an. Ich komme dem zuvor und klingle wieder. Der drinnen wird unschlüssig, und ich vernehme eine Greisenstimme. Sie fragt, wer ich bin.
Es folgt ein mühsames Gespräch. Der Alte öffnet nicht, hört aber auch schwer und versteht obendrein keine der Sprachen richtig, die ich probiere. Ich erkläre, wie dringend ich Doktor Ivarsson sprechen müsse, und dass ich nicht wüsste, wo ich ihn finden könnte. Der Alte weiß es ebenfalls nicht. Wahrscheinlich sei der Doktor verreist, er sei oft auf Reisen. Ja, ja, er wohne allein, der Wohnungsinhaber sei schon lange im Ausland.
Das ist die einzige Information, die ich bei diesem Dialog durch die Tür bekomme. Eine weitere gibt mir der Briefkasten Doktor Ivarssons unten am Eingang. Der steckt voller Zeitungen. Doktor Ivarsson ist wirklich abwesend. Doch ich lasse nicht locker. Ich nehme mein Notizbuch aus der Tasche und werfe rasch ein paar Zeilen aufs Papier. Dann reiße ich das Blatt heraus und stecke es in den Kasten.
Wenn oben jemand ist, wird er der Versuchung nicht widerstehen können und die Post herausnehmen. Oder sie wenigstens durchsehen. Und meine kurze Botschaft, in der ich etwas von verschwundenem Material andeute, wird ihn nachdenklich stimmen.
Soviel für diesen Besuch. Ich muss gehen.
Der kleine Platz ist still. Auf den geparkten Autos kleben gelbe, dürre Blätter, im anschließenden Park funkelt die untergehende Sonne auf den nassen, kahlen Ästen der Ahorne, alles ist wie bei uns in manchen ruhigen Winkeln von Paris, nur das hier der Herbst irgendwie strenger ist und in der Luft ein leichter Harzgeruch schwebt.
Irgendwo werde ich doch was essen müssen. Allein mit belegten Sandwiches und Kaffee wird es mein menschlicher Motor nicht lange machen.
Ich gehe um den Platz herum und betrete die erste Imbissstube, die mir ins Auge fällt.
Fünf, sechs Tische, Imbiss- und Getränkebüfett, sauber wie überall in diesem Land. Jeder bedient sich selbst, aber es gibt nicht viele Gäste – richtig zu Abend gegessen wird hier viel später.
Ich packe mir eine Portion Würstchen und einen sauersüßen Salat nach nördlicher Art aufs Tablett und setze mich an einen Tisch. Gerade will ich mich über die Würstchen hermachen, da merke ich, dass ich jemandes Aufmerksamkeit erregt habe.
Hinter dem Getränkebüfett steht ein Mann in weißem Arbeitskittel mit stark angegrautem Haar und braunen, aufmerksamen Augen. Wahrscheinlich ist er um die Vierzig, Fünfundvierzig. Er mustert mich mit unverhohlener Neugier, wendet sich von den Gläsern ab, die er aufstellt, und sagt über die Schulter etwas zu jemandem in dem Zimmerchen hinter dem Büfett. Dieser Jemand ist eine junge Frau, dass herauskommt und sich seinerseits mit den Gläsern zu beschäftigen beginnt, der Mann aber kommt um das Büfett herum auf mich zu.
Er tut das nicht aufdringlich, und ich bin auch neugierig geworden.
„Verzeihen Sie“, sagt der Mann, „sind Sie nicht Franzose? Wenn es Sie nicht stört, dürfte ich für ein wenig…“
Klarer Fall ein Emigrant. Ein rumänischer Emigrant ist das letzte, was ich jetzt brauchen kann, aber ich weiß nicht, warum ich es nicht fertigbringe, ihn abzuweisen, vielleicht weil er mich so zurückhaltend angesprochen hat.
„Bitte!“ Ich nicke zu dem Stuhl neben mir hin.
„Ich stamme aus der Gegend von Calafat … Popescu, Anton Popescu.“
„Bouché. Doktor Bouché.“
„Trinken Sie ein Bier mit, Doktor?“, fragt er gleich lebhaft.
„Nur so…“
„Kann ich machen“, stimme ich zu, „aber nur, wenn Sie es mir auf die Rechnung setzten.“
Popescu läuft geschäftig zum Büfett, kommt mit zwei gekühlten Büchsen Bier zurück, reißt sie auf und stellt sie auf den Tisch.
„Hier kommen selten Franzosen her, deshalb…“, sagt er entschuldigend. „Aber wenn es Ihnen unangenehm ist…“
„Sind Sie schon lange weg?“
„Schon lange. Vierundfünfzig. Hier bin ich seit einundsechzig. Und Sie, schon lange?“
„Nein, seit zwei Tagen. Dienstlich.“
„Seit einundsechzig“, wiederholt Popescu. „Habe geheiratet, zwei Töchter.“ Er deutet mit den Augen ringsum. „Das gehört meiner Frau. Die junge Frau dort ist die jüngere Tochter.“
Gespräche mit Emigranten sind mir immer etwas peinlich gewesen. Hauptsächlich wegen der unausgesprochenen Fragen, denen jeder aus dem Weg geht. Und wegen der sonderbaren Stimmung. Manche sind aufgedreht,
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