Der Protektor (German Edition)
den Zahlenreihen ein und stehe auf.
Frau Traugott gibt mir die Hand und lächelt leicht. Ich möchte liebenswürdig sein, aber es kommt irgendwie banal und zweideutig heraus. Ihr ist alles klar. Sie kann sich denken, dass Hausen bereits mit mir gesprochen hat.
Ich breche auf, und unten begleitet mich der Pförtner zum Ausgang. Er hält mir die Tür auf und schaut hinaus.
„Das Wetter bessert sich, Herr Inspecteur générale.“
Das stimmt. Ein stiller Nachmittag hat sein Licht über die Universitätsparks gebreitet. Der Nebel, der bis vor einer Weile auf den Gebäuden lag, hat sich gehoben, und die Leichtkranken sind auf die Alleen herausgekommen und gehen in Jogginganzügen auf und ab. Sie gehen allein oder in Gruppen zu zweien und dreien und reden selten. Hier in den Kliniken ist die Zeit des Nachdenkens, für Gedanken, die sie sonst meiden, uns aber eines Tages anwandeln.
Ich habe keine Zeit für solche Gedanken. Stattdessen nehme ich das Notizbüchlein mit Telefonnummern und Adressen zur Hand, das ich in Bressons Schreibtisch gefunden habe, und suche. Ja, hier ist, was ich brauche: Dr. Hugo Ivarsson, Wilemstad 26.
Ich weiß, dass es fast sinnlos ist, aber ich muss dort hingehen. In unserem Beruf sind sinnlose Dinge mitunter von Bedeutung.
10.Doktor Ivarsson, der Abwesende
Wilenstad 26 ist ein hübsches, dreistöckiges Haus an einem kleinen Platz, an den sich eine Grünanlage anschließt. Schon das Äußere sagt genug: Das ist ein Haus für gewichtige Leute, die sich eine gesellschaftliche Stellung geschaffen haben. Strenge Linien, solide Verkleidung, wohlverschlossene Tür mit Sprechanlage.
Während ich noch die Schilder unter den Klingelknöpfen lese, habe ich Glück: Eine ältere Frau mit einem Hündchen an der Leine kommt heraus. Ich nicke ihr freundlich zu wie einer alten Bekannten und gehe ganz natürlich hinein. Eine Treppe mit Marmorbrüstung und einem weichen, flauschigen Läufer auf den Stufen. Die strengen Linien von außen gehen in zurückhaltenden Luxus über. Doktor Ivarsson hat seine Wohnung mit Bedacht gewählt, und hat nicht sparen müssen.
Seine Wohnung liegt in der dritten Etage. An der Tür ist neben einem Schildchen mit seinem Namen noch ein zweites, ziemlich nachgedunkeltes. Auf mein Klingeln antwortet niemand, was zu erwarten war.
Es ist überall still. Durch das große Treppenhausfenster fällt das rötliche Licht des späten Herbstnachmittags. So wie ich stehe – mit dem Rücken zum Fenster -, könnte wohl niemand merken, was ich mache. Trotzdem stehe ich noch ein Weilchen herum, klingle noch einmal und nehme eine lässige Haltung ein, indem ich mich mit der Hand an die Tür stütze. Die Haltung ist genau berechnet, sodass ich ein kleines Gerät im Auge habe, das auf meiner flachen Hand liegt und dessen Angaben mich darüber unterrichten, ob es ein paar Meter in dieser Richtung ein lebendes Wesen gibt. Dann drehe ich das Handgelenk langsam, ändere die Richtung.
Es kommt mir vor, als hätte sich der Zeiger bewegt. Ein fast unmerklicher Ausschlag, dessen ich mir nicht sicher bin. So ein Rucken kann auf andere Umstände zurückzuführen sein, nicht nur auf die, die mich beschäftigen. Es kann von einer Katze, einem Hund, ja selbst von einem Kanarienvogel hervorgerufen werden. Die Empfindlichkeit des Gerätes ist sein Mangel.
Das rötliche Dämmerlicht ist auch hinderlich. Deshalb mime ich noch ein Weilchen Warten und klingle zum dritten Mal. Jetzt fahre ich mit der Hand über die Tür – ein richtiger ungeduldiger und ein bisschen nervöser Besucher.
Der Zeiger schlägt aus. Nicht viel, aber deutlich genug. Es liegt fast an der Leistungsgrenze des Geräts.
In Ivarssons Wohnung ist ein Mensch. Wahrscheinlich nicht allzu weit von der Tür, sonst hätte ich ihn nicht geortet. Aber auch nicht allzu nahe.
Ivarsson? Oder jemand anderes, der sich für ihn interessiert? Ich bin nicht überrascht. Wenn Bresson überwacht wurde, dann auch einige Leute, mit denen er zusammengearbeitet hat. Und natürlich Ivarsson.
Ich entferne mich von der Tür und klingle in der Nachbarwohnung auf der anderen Seite des Treppenabsatzes. Eine Minute verstreicht, dann schleichen hinter der Tür leise Schritte; jemand geht in Hausschuhen. Das Auge des Spions wird hell, und ich setze so etwas wie ein freundliches Lächeln auf. Das ist nach der Entdeckung, die ich soeben gemacht habe, nicht gerade leicht, aber ich muss mich in günstigem Licht zeigen.
Meine Bemühungen überzeugen den Mann hinter
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