Der Protektor von Calderon
ernüchternd. Der Bericht von der Tribuna Logistica raubte ihm weitere Illusionen.
Marcus entdeckte Crassus genau da, wo er eigentlich nicht hätte sein sollen. Der Hauptmann besuchte seinen Halbbruder, der auf einem Feldbett in den Heilerzelten zusammen mit anderen Männern lag, die zu verletzt waren, um rasch wiederhergestellt zu werden. Der junge Mann saß neben Maximus und wirkte abwesend.
»Hauptmann«, sagte Marcus leise.
»Du hast recht gehabt«, antwortete Crassus ohne weitere Einleitung. »Wir hätten einen Ausfall wagen sollen.«
Marcus ignorierte seine Worte. »Wir haben die Hälfte unserer Kampfkraft verloren, Hauptmann. Über ein Drittel unseres Nachschubs wurde abgeschnitten, als versucht wurde, die Palisade zu erreichen, darunter der größte Teil des Viehs. Und der einzige Brunnen auf diesem Hügel ist vergiftet. Die Tribuna Logistica bemüht sich, das Wasser zu filtern, aber es sieht nicht gut aus. Wir haben schon das meiste verbraucht, was wir aus den Brunnen unten am Hügel geholt haben, solange es also nicht regnet oder Tribunin Cymnea irgendwie ein Wunder vollbringt, werden wir bald auf dem Trockenen sitzen.«
Das bedeutete das Todesurteil für eine Legion. Eine Legion hielt - wenn alles gut ging - einen Tag ohne Essen aus, doch ohne Wasser würden die Männer bald zu Dutzenden umkippen.
»Ich war so sicher, dass wir die Stellung halten müssten«, sagte Crassus. »Nur eine Weile lang. So lange, bis die Mauern fertig wären und wir sie uns vom Leibe halten könnten, so wie sonst. Ich dachte, wir hätten die Hauptwucht ihres Angriffs auf uns
gezogen, und die Garde würde uns Verstärkung schicken können.« Er deutete auf seinen Bruder. Maximus war mit leichten Laken zugedeckt, um Schmutz und Staub von den Verbrennungen fernzuhalten. »Max hatte recht«, sagte Crassus. »Ich habe zu viel überlegt, Marcus. Und er hat für meine Fehler gebüßt. Wieder einmal.«
Marcus starrte einen Moment lang den Hinterkopf des jungen Mannes an. Wenn Fürstin Aquitania Crassus so sehen würde, wäre sie mehr als zufrieden. In diesem Zustand würde er die militärischen Ehrungen ihres Gefolgsmannes Arnos gewiss nicht verhindern.
Allerdings dachte sie wohl nicht im Traum daran, dass es unter diesen Umständen überhaupt keine Ehrungen geben würde - außer den posthumen, versteht sich.
Er trat vor den jungen Offizier und schlug ihm kräftig ins Gesicht.
Crassus blinzelte und starrte den Ersten Speer schockiert an. Es war nicht gerade ein zartfühlender Klaps gewesen. Blut rann dem jungen Mann von der Oberlippe.
»Die Krähen sollen dich holen, Hauptmann«, sagte Marcus leise. »Du bist Hauptmann einer Legion. Nicht irgendeine junge Braut, die um ihren Gemahl weint, der im Krieg geblieben ist. Reiß dich zusammen, und führe uns, ehe noch mehr Männer so enden wie dein Bruder.«
Crassus starrte ihn leer an. Wahrscheinlich hatte in seinem ganzen Leben niemand je auf diese Weise mit ihm gesprochen, vermutete Marcus.
»Steh auf«, knurrte Marcus. »Steh auf, Hauptmann.«
Crassus stand langsam auf. Marcus sah ihn an und schlug sich die Faust vor die Brust.
Crassus erwiderte den Salut. Er blickte Marcus an und sagte sehr leise: »Nur noch die halbe Zahl Männer, kein Fleisch, kein Wasser.«
»Ja, Hauptmann.«
»Und die Garde?«
»Ich habe mit ihren Ersten Speeren gesprochen, Hauptmann. Bei denen sieht es noch übler aus als bei uns. Aus allen möglichen Gründen haben wir die einzigen Ritter auf dem Schlachtfeld. Die Garde hat einen anderen Helm benutzt als wir, ohne Querstrebe auf dem Busch, und diese langen Sicheln sind da durchgegangen wie durch Papier. Ihre Verletztenzahl ist kleiner, aber es sind viel mehr gefallen.«
»Gibt es Befehle vom Senator?«, fragte Crassus.
Marcus schüttelte den Kopf.
»Von den anderen Hauptmännern?«
»Auch von denen habe ich nichts gehört.«
Crassus holte tief Luft. »Es scheint, wir bräuchten so eine Art Plan.«
»Wenn du meinst, Hauptmann.«
»Schick Boten zum Senator und zu den anderen Hauptmännern«, sagte Crassus. »Lass ihnen mitteilen, ich hätte einen Pavillon für den Senator, seinen Stab und die anderen Hauptmänner eingerichtet, und er würde nur auf ihn warten.«
Marcus salutierte und ging davon.
»Marcus«, sagte Crassus leise.
Der Erste Speer blieb stehen, drehte sich jedoch nicht um.
Crassus senkte die Stimme, so dass nur noch Marcus ihn hören konnte. »Von diesem Hügel kommen wir nicht mehr weg, oder?«
Marcus stieß langsam den Atem
Weitere Kostenlose Bücher