Der Protektor von Calderon
wie stark die Wasserkräfte des Ersten Fürsten waren, ebenso wie Feuer, Erde oder Metall. Außerdem war er ein aufmerksamer Mann, und er hatte schon dreimal so lange mit anderen Menschen zu tun, wie Amara überhaupt lebte - weshalb es ihm leicht fiel, möglicherweise gefährliche Einzelheiten zu beobachten. Ihre Beziehung zu Bernard war ein riskantes Gesprächsthema in Gaius’ Gegenwart.
Insbesondere deshalb, weil es sich anfühlte, als habe ihr Gemahl sie schon seit mindestens zehntausend Jahren nicht mehr berührt, nicht mehr geküsst oder sie schreien lassen vor lauter …
Die Krähen sollten es holen. Sie war eine erwachsene Frau. Es war einfach ungerecht, wenn allein der Gedanke an Bernard sie in ein verträumtes Schulmädchen verwandelte.
Amara räusperte sich, nahm ihre Schreibmappe aus dem Fach unter dem Sitz und versuchte erneut, das Thema zu wechseln. »Die Lage ist wie folgt, Majestät. Wir dürften irgendwann morgen früh in der Hauptstadt eintreffen. Die Berichte des Hohen Fürsten Antillus müssten dann bereits auf deinem Schreibtisch liegen, und die letzten Marschbefehle für die Legionen aus Rhodos sollten in Kraft gesetzt sein, was …«
Die Kutsche drang in eine dichte Wolkendecke vor, und Amara unterbrach sich, weil sie eine Elementarlampe zum Leuchten bringen wollte.
»Gräfin«, sagte Gaius, ehe sie dazu kam. Der Erste Fürst nahm
ihr die Mappe ab, klappte sie zu und legte sie zur Seite. »Begleite mich, bitte.«
Amara blinzelte ihn an.
Ohne Vorankündigung wandte sich Gaius um und öffnete die Tür der Kutsche. Plötzlich pfiff der Wind herein und fegte ihre Kleidung durcheinander, und die Kutsche legte sich ein wenig auf die Seite, da durch den Widerstand das Gleichgewicht gestört wurde.
Der Erste Fürst trat hinaus in die leere Luft und bewegte sich so gleichmäßig von der Kutsche fort, als würde er über festen Boden gehen.
Amara zog die Augenbrauen hoch, folgte ihm jedoch und rief Cirrus, um sie zu tragen, während die kalte, graue Feuchtigkeit der schweren Wolken sie umfing. Einen Augenblick lang hielten sie die Geschwindigkeit der Kutsche bei, und Gaius nickte dem Anführer der Eskorte aus Ritter Aeris zu. Dann verlangsamte er das Tempo, und binnen Sekunden war die Windkutsche in den Wolken verschwunden. Gaius und Amara schwebten in konturenlosem Grau.
Gaius fuhr mit der Hand durch die Luft, und das Brausen des Windes hörte unvermittelt auf. Eine Sekunde lang erwartete Amara, ihr Windstrom würde in sich zusammenfallen und sie trudelnd zur Erde stürzen lassen, doch Cirrus trug sie unverändert weiter. Ihr Haar peitschte ihr um den Kopf wie stets, vor allem, wenn sie auf der Stelle schwebte - nur die Geräusche ebbten ab zu einem Säuseln. Von irgendwo hörte Amara das Grummeln von Donner, als würde sich meilenweit entfernt ein Frühlingssturm in den Wolken zusammenbrauen.
»Majestät«, sagte sie verwirrt. »Die Kutsche.«
Gaius schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, dass ich dir vorher nichts erklären konnte, Amara, aber Geheimhaltung ist im Moment von äußerster Wichtigkeit. Niemand weiß, wohin wir aufbrechen.«
Sie runzelte die Stirn und verschränkte die Arme gegen den
Wind. Schließlich trug sie nicht ihr Flugleder, und sie war überrascht, wie schnell die Kälte die Haut durchdrang.
»Also darf ich davon ausgehen, dass wir nicht in die Hauptstadt zurückkehren?«, sagte sie leise.
»Nein«, antwortete Gaius.
Sie nickte. »Warum bin ich hier?«
»Ich brauche jemanden, dem ich vertrauen kann, der mich begleitet.«
»Wohin, Majestät?«, fragte Amara.
»Nach Kalare«, sagte Gaius ruhig.
Amara riss die Augen auf. »Warum dorthin?«
Seine Stimme verlor nichts von ihrem Gleichmut. »Weil ich viel zu lange in der Hauptstadt gesessen und den Diplomaten gespielt habe, Amara, und dieses Chaos« - er umfasste die Gesamtheit des Reiches mit einer Armbewegung - »ist das Ergebnis. Verbündete und Feinde haben vergessen, wer ich bin. Was ich bin. Ich kann das nicht länger zulassen.«
Weit entfernt in den Wolken zuckte ein Blitz und löste eine silberne Lichtflut im Dunst hinter dem Ersten Fürsten aus.
»Ich werde sie daran erinnern, Kursorin.« Sein Blick wurde härter. »Ich ziehe in den Krieg. Und du wirst mich begleiten.«
5
Isana sorgte dafür, dass ihre Kapuze richtig saß, und war dankbar für die ungewöhnlich scharfe Kälte des Morgens. Denn das gab ihr eine klare Entschuldigung, weshalb sie die Kapuze so tief ins Gesicht ziehen musste. Dabei ging es
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