Der Puppendoktor
zwar verrückt, aber nicht völlig abwegig. Er musste auf der Hut sein. Er drückte sich heimlich an die Tür und beobachtete aus den Augenwinkeln Jean-Jean, der zügig und schweigend fuhr, eine Zigarette im Mundwinkel.
Auf dem Revier schien alles im Zeitlupentempo abzulaufen. Eine wütende Prostituierte, ein paar kleine Dealer, Formulare, die auszufüllen waren, müde Kommissare, Kaffeebecher, Zigarettenrauch. Die nächtliche Routine.
Ohne zu grüßen, ging Jean-Jean, gefolgt von Marcel, die Treppe hinauf.
»Gut, Sie müssen nicht bleiben, Blanc. Ich weiß, dass Sie einen schweren Schlag erlitten haben. Aber ich hab's im Gefühl, dass wir den Dreckskerl erwischen. Ich hab's im Gefühl.«
»Ich bleibe.«
Als er das sagte, hatte Marcel den Eindruck, in einem guten, alten Western mitzuspielen, und das war irgendwie tröstlich. In der vertrauten Atmosphäre der Büros erschien ihm die Vorstellung, dass Jean-Jean etwas mit dem Mord an Madeleine zu tun hätte, immer grotesker. Da war etwas anderes, jemand, der sie manipulierte, der sie zum Narren hielt.
Jean-Jean reichte ihm einen Teil der Akte, und sie machten sich daran, den Fall zu rekapitulieren.
Der kleine Mann hatte vor seinem Haus geparkt. Reglos, den Blick ins Leere gerichtet, dachte er nach. In der Nähe der Büsche bewegte sich eine Gestalt. Er blendete kurz die Scheinwerfer auf, und der Lichtkegel erfasste die alte Prostituierte mit ihrer Wollmütze. Sie schreckte zusammen und rannte davon wie ein aufgescheuchter Hase. Der kleine Mann lächelte. Dann verfiel er wieder in seine düsteren Träumereien.
Sein Raubtierinstinkt sagte ihm, dass die schönen Tage gezählt waren. Sie waren ihm auf den Fersen, die Jagd auf ihn hatte begonnen. Er spürte, dass er nicht die Aufmerksamkeit auf sich lenken durfte und sich für die Flucht bereithalten musste. Er zog seine Brieftasche aus der Jacke und vergewisserte sich, dass er seine Papiere, sein Scheckheft, die Kreditkarte und das Foto seiner Mutter hatte. Ihr schönes, unbeschadetes Gesicht lächelte ihn an. Zitternd fuhr er mit seinem blut- und ölverschmierten Finger darüber. Wie hübsch sie war, seine Maman.
Viel zu hübsch für ein Schwein wie Pierrot, viel zu hübsch, um mit ihm das Tier mit zwei Köpfen, mit zwei Rücken zu spielen, das böse Tier, das den kleinen Liebling nicht mehr liebte, das böse, hechelnde Tier mit den zwei schweißgebadeten Körpern, den zu tierischen Schreien geöffneten Mündern, der beruhigende Kontakt mit dem Beil, er konnte gut und schnell Holz hacken, er war klein, aber stark, und er würde nie die böse Stimme der Tier-Maman vergessen » Raus mit dir, lass uns in Ruhe! Ich stecke dich ins Internat, ich habe die Nase voll von dir!«, das hässliche Lächeln von Tier-Pierrot, befriedigt, Speichelfäden am Kinn.
O nein, nein, man würde ihn nicht zum Narren halten.
Der Griff des Beils, die langen, schrillen Schreie, übertönt vom ohrenbetäubenden Getöse des Donners, der Tier-Pierrot in Stücken auf dem Bett, die Tier-Maman auf der Flucht - nackt, wie der liebe Gott sie geschaffen hatte -, das Gewitter, der Blitz, die göttliche Strafe, die das Haus traf, die Feuersbrunst, dann die große Dunkelheit, das Dunkel voller schrecklicher Dinge.
Die Nacht schien in das Innere des Wagens einzudringen, drückte auf seine Brust, klebte an seinen Lippen wie feuchtes, schlaffes Fleisch. Ein Geruch der Verwesung streifte seine Nase, seinen Mund, seine verzweifelt aufgerissenen Augen, die nichts mehr wahrnahmen. Plötzlich bewegte sich etwas unter seinen Fingern. Ein Beben, ein unsichtbares Pulsieren, das seine Handflächen kitzelte. Er vernahm seltsame Seufzer, dann wuchsen Beulen unter seinen Fingern. Die Welt war nur noch Tasten und Gestank. Er zitterte vor Kälte und schmiegte sich an die feste und doch weiche Masse, von der keinerlei Wärme mehr ausging. Nur dieses Kitzeln, begleitet von einem saugenden Geräusch. Der kleine Mann hätte losbrüllen wollen. Seine Hände kratzten über die Windschutzscheibe, seine Beine zuckten unter dem Armaturenbrett.
Jemand riss die Wagentür auf, eine Gestalt beugte sich zu ihm herab.
»Monsieur, fehlt Ihnen etwas, Monsieur?«
Der Kopf des kleinen Mannes fuhr in Richtung Stimme herum, seine Sonnenbrille blitzte im Licht der Straßenlaterne, sein verzerrter Mund entblößte all seine Zähne.
Der Passant wollte zurückweichen, doch die Hand des kleinen Mannes beschrieb einen Bogen, und das Messer bohrte sich in seinen Leib und durchstieß das
Weitere Kostenlose Bücher