Der Puppenfänger (German Edition)
Cayenne entspricht der Beschreibung einiger Kegelbrüder, die sich am Mittwochabend auf dem Weg zu einem gepachteten Häuschen im Ferienpark Dankern befanden«, führte Anton weiter aus. »Sie hatten zwar ordentlich gebechert, aber ihre Aussagen decken sich. Was wahrscheinlich auch damit zusammenhängt, dass ihr Kegelausflug ein tragisches Ende nahm. Einer von ihnen …« Anton blätterte in seinen Unterlagen: »Gerhard Schorbeck, geboren 1959, wurde von einem dunklen Geländewagen angefahren. Die Zeugen gaben übereinstimmend an, sie seien nebeneinander auf der rechten Straßenseite gegangen. Möglicherweise habe der Fahrer sie in der Dunkelheit zu spät gesehen. Er hat zwar noch eine Vollbremsung hingelegt, aber Schorbeck trotzdem mit dem rechten Kotflügel seines Wagens erfasst und auf den Randstreifen geschleudert. Der Fahrer hat anschließend sofort Vollgas gegeben. Herr Schorbeck verstarb noch an der Unfallstelle.«
»Wir haben eindeutige Spuren am rechten Kotflügel gefunden, die auf einen Unfall hinweisen und die zu dem von Anton geschilderten Vorfall passen könnten. Nicht, dass ihr mich missversteht. Ich sagte, passen könnten «, erklärte Friedrichs. »Aber wir legen Überstunden ein, und morgen habe ich das Ergebnis.«
»Konnte irgendjemand den Fahrer beschreiben?«, wollte Dieter wissen.
»Nein! Die Männer gaben übereinstimmend an, die Person sei dunkel gekleidet gewesen, konnten aber keine weiteren Angaben machen. Auch, ob der Fahrer Mann oder Frau war, konnten sie nicht sagen. Sie sind sich allerdings sicher, dass niemand auf dem Beifahrersitz gesessen hat. Zu dem Kennzeichen gibt es widersprüchliche Angaben, nur darin, dass das Nummernschild ein EL für das Emsland trug, sind die Zeugen sich einig.«
»Zu welcher Uhrzeit hat sich dieser Verkehrsunfall zugetragen?«, fragte Michel.
»Am Mittwochabend zwischen elf und halb zwölf«, erwiderte Anton.
*
Irgendwann am frühen Vormittag waren Richard und Simone gekommen, um die Kinder abzuholen. Marianne hatte all ihre Kräfte gesammelt, war freundlich gewesen, hatte Optimismus verbreitet und weder Tommy noch die Tatsache, dass er heute in Volkers Beisein bei der Kriminalpolizei in Lingen einen Doppelmord gestehen würde, erwähnt. Als sie wieder allein war, hatte sie sich ans Fenster gestellt und auf das Kinderhaus gestarrt. Erst als es an der Haustür klingelte, rührte sie sich, schritt schwerfällig und steifbeinig, wie eine Aufziehpuppe, in die Diele und öffnete die Tür. Sie sah ihr Gegenüber schweigend an, wandte sich schnell um, ging zurück ins Wohnzimmer und stellte sich wieder ans Fenster.
Heide folgte ihr verwundert, beobachtete sie eine Weile schweigend und kam zu dem Schluss, dass Frau Wanner krank war oder unter einem Schock stand. Sie stellte sich neben die Frau, fasste nach einer eiskalten Hand, sah den Schweiß auf der Stirn und das wächserne, teilnahmslose Gesicht, das wie erstarrt wirkte. »Kommen Sie, Frau Wanner«, sagte sie leise. Sie legte ihren Arm über Marianne Wanners Schulter und schob sie sachte durch den Raum bis zu einem Sofa. Dort setzte sie sich und zog sie behutsam neben sich. »Ich denke, Sie sind krank. Deswegen legen Sie sich jetzt hin. Warten Sie, ich helfe Ihnen.«
Sie stand auf, hob Marianne Wanners Beine an, streifte ihr die Schuhe ab und bettete ihre Füße auf ein Kissen, deckte die Frau mit einer Wolldecke bis zum Kinn zu, sah sich suchend nach einem Telefon um, fand keins, telefonierte mit ihrem Handy nach einem Krankenwagen und registrierte, dass auf dem Wohnzimmertisch mehrere Gläser und eine Flasche Mineralwasser standen. Sie schenkte Wasser ein, legte einen Arm unter Marianne Wanners Rücken, half ihr, sich aufzurichten, und hielt ihr das Glas an die Lippen. Die Frau trank mit geschlossenen Augen, murmelte »Danke« und sah Heide an.
»Tommy hat keine Schuld an dem, was die Männer Alexandra angetan haben. Genauso wenig wie Christina und Richard. Sie haben den Geburtstag eines Freundes gefeiert, getanzt, zu viel Alkohol getrunken und sich gestritten. Alexandra ist wütend geworden, sie wollte allein sein und ist weggelaufen.«
»Beruhigen Sie sich, Frau Wanner. Ich habe nach einem Krankenwagen telefoniert. Sobald es Ihnen wieder bessergeht, können Sie erzählen, was geschehen ist. Jetzt ruhen Sie sich aus.«
Marianne Wanner blickte Heide mit großen, weit aufgerissenen Augen aus einem kreidebleichen Gesicht an. »Sie haben Alexandra wie ein Tier durch den Wald getrieben. Als sie das
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