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Der Puppenfänger (German Edition)

Der Puppenfänger (German Edition)

Titel: Der Puppenfänger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joana Brouwer
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…«
    »Es muss sogar dir klar sein, von der Heide«, fiel er ihr ins Wort, »dass die Vermisstensache Schöllen und der Mord an Laxhoff miteinander in Verbindung stehen könnten. Es ist verantwortungslos von dir, aus lauter Dickköpfigkeit in unseren polizeilichen Ermittlungen herumzuwuseln. Damit gehst du nicht allein mir auf den Zeiger, sondern auch meinen Kollegen. Weißt du, welchen Spitznamen man dir auf der Dienststelle verpasst hat?«
    »Nein!«, schrie Heide, »und es interessiert mich nicht die Bohne.«
    »Weißt du, dass man mich bereits bedauert, weil du mir ständig auf den Füßen rumlatschst?«
    »Dann zieh die Füße ein und mach dich nicht so breit, verdammt! Du Macho!«
    »Du brichst bitte auf der Stelle ab und kommst nach Hause«, sagte Dieter.
    »Nach Hause?«, murmelte Heide. Sie hatte sich zwar vorgenommen, morgen abzureisen, war sich jetzt allerdings nicht mehr sicher, ob dies eine kluge Idee war. Vielleicht war es schlauer, im Dorf zu bleiben.
    »Dir ist nicht klar, wo dein Zuhause ist?«, spottete Dieter und fügte zynisch hinzu: »Obwohl du in der Nordhorner Bleibe die Kleiderschränke gefüllt hast und mir für meine paar Klamotten nur wenige Zentimeter bleiben, weiß ich es leider ebenso wenig wie du. Oder hast du dich in den letzten Tagen nach einem Brautkleid umgesehen und deine Wohnung inseriert?«
    Heide war fassungslos. Ihr momentan brisantestes Streitthema war noch nicht durch, da machte er bereits die beiden nächsten hochexplosiven Fässer auf. Ihr Osnabrücker Domizil war ein ewiger Zankapfel zwischen ihnen, ein anderer die Heirat. Sie ahnte, dass sie ihm wahrscheinlich unrecht tat, trotzdem sträubten sich ihr die Haare, sobald sie über eine Hochzeit nachdachte.
    »Heide?«
    Seine Stimme klang jetzt fast sanft, weich und behutsam.
    »Ich dachte schon, du hättest aufgelegt«, grummelte er.
    Scheinbar hatte sie sich geirrt. Milde oder der Wunsch nach Versöhnung war in diesen zuletzt vernommenen Worten nicht zu erkennen gewesen.
    »Was ist? Möchtest du mir etwas Besonderes mitteilen?«, fragte sie zickig. Es reichte, auch ihre Geduld besaß einen Anfang und ein Ende.
    »Nein! Schlaf gut oder auch nicht! Du sturer Dickkopf!«, blaffte Dieter, ehe er das Gespräch abbrach.
    Er war wütend, und auch sie wollte über eine Versöhnung im Moment nicht nachdenken. Dieter war ein störrischer Esel, ein verdammt bockiger … Heide verdrängte jeden Gedanken an ihn. Ehe sie in einen unruhigen Schlaf fiel, hatte sie die blauen Flecken und Blutergüsse auf Simones geschundenem, schmalem Rücken vor Augen.
    *
    Seitdem sein Bruder Gunnar zu ihm gekommen war und den Mief einer freudlosen Zeit mitgebracht hatte, vermischten sich in Schöllens Hirn Begebenheiten der Vergangenheit mit der Gegenwart. Dort, wo irgendwann einmal sein Verstand gewohnt hatte, herrschte heilloses Durcheinander.
    Er schloss die Augen, drückte den Kopf auf seine Knie. Der beißende Geruch seiner unglücklichen Kindheit hatte sich in seiner Nase festgesetzt und war mit der stinkenden Nässe, die von seinem Schritt bis in die Kniekehlen gekrochen war, verschmolzen. Als er die Augen wieder öffnete, richtete er den Blick starr vor sich auf den Dielenboden. Er wagte nicht, aufzusehen, weil er sich vor seiner jüngsten Tochter schämte. Sie saß vor ihm unter dem Tisch und schrie ohne Unterlass.
    Ab Papa! Du bit böte, un Ichad it lieb!
    Hinter Paula stand Gunnar und grinste seit Stunden, ohne ein einziges Wort zu sagen. Zum hundertsten Mal fragte Schöllen sich, wie die Kleine den Weg bis in die Hütte zurückgelegt hatte und auch, warum Gunnar ihn besuchte, wenn er ohnehin seinen Mund nicht aufmachen wollte, um mit ihm zu reden.
    »Sprich mit mir, Gunnar«, krächzte er mit zerrissenen Lippen und einer Zunge, die dicker war als seine Füße.
    TAM Ta Ta Ta, Tam Ta Ta Ta Tam Ta TAM Ta Ta Ta, Tam Ta Ta Ta, Ta Ta Ta Ta Ta Ta …
    Irgendwann in den letzten Stunden musste wohl – von ihm unbemerkt – Schattenmann oder Stiefelmann gekommen sein. Denn seitdem er aufgewacht war, hallte die Musik lauter durch den Raum und zwischen seinen Beinen befand sich eine gefüllte Wasserflasche. Schöllen wusste, dass sie das Kostbarste war, das er je besessen hatte.
    Er umfasste die Flasche mit beiden Händen, hob sie an und trank in winzigen Schlückchen. Lange überlegte er, was geschehen war, seitdem dieser Schatz sich in seinem Besitz befand, und kam zu keinem Ergebnis. Doch eines war gewiss, seine Situation hatte sich nicht zum

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