Der Puppenfänger (German Edition)
und schaltest die Alarmanlage scharf? Und bitte vergiss nicht, die Ketten an der Haustür und an der Kellertür vorzulegen, wenn du abgeschlossen hast.«
Nachdem Richard die Küche verlassen hatte, durchquerte sie das Esszimmer, knipste im Wohnzimmer eine Stehlampe an und nahm zwei Weingläser aus einem Sideboard. Skeptisch betrachtete sie den Raum, der ihr viel zu groß erschien und in dem sie sich nie wohl gefühlt hatte. Ihr tägliches Leben und das ihrer Kinder spielte sich in der Küche und im Obergeschoss ab. Sie hatte in den letzten Wochen oft auf der Türschwelle gestanden, den Blick umherschweifen lassen und sich gefragt, welcher Teufel sie geritten hatte, einen gewaltbereiten Mann zu heiraten, den sie nicht liebte und dem weder an ihr noch an dem gemeinsamen Nachwuchs etwas lag. Das Wohnzimmer, der neu errichtete Prachtbau insgesamt, wirkte ebenso frostig wie ihr Ehemann. Als sie Gerald kennengelernt hatte, war sie von ihm und von den Dingen, die ihn umgaben, beeindruckt gewesen. Damals hatte sie nicht gewusst, dass es seinem Wesen entsprach, rücksichtslos alles an sich zu reißen, wonach ihm zumute war. Sein Haus war mit den edelsten Materialien erbaut und mit den teuersten Designermöbeln ausgestattet worden. Nicht, weil er einen exklusiven Geschmack besaß. Er wollte lediglich all das haben, was sich nicht jeder leisten konnte. Seit langem fragte sie sich, wie sie ihn – mitsamt seinem überflüssigen Designer-Firlefanz – in den letzten Jahren ertragen hatte.
»Ich hasse dieses Versteckspielen«, seufzte sie, als sie zurück in die Küche kam und sich zu Richard an den Tisch setzte. »Es dauert bereits zu lange, und es macht mich krank, genau wie dieses protzige Haus. Ständig befürchte ich, Gerald könnte mir aus irgendeiner Ecke entgegenspringen.«
»Bald hat es ein Ende, Simone.«
Sie legte einen Schlüssel auf den Tisch. »Ich habe ihn heute Abend von Beates Schlüsselbund genommen. Sie betritt das Haus, wann sie möchte, und das mag ich jetzt nicht mehr. Du weißt, es fällt mir sehr schwer, Geheimnisse vor meiner Schwester zu haben, aber es lässt sich wohl nicht vermeiden.«
»Du wirst dich mit ihr auseinandersetzen müssen, sobald sie bemerkt, dass der Schlüssel fehlt.«
»Ja!« Simone seufzte. »Das werde ich zu gegebener Zeit machen, aber keine Minute früher als notwendig.«
Richard stellte zwei Gläser hin, schenkte einen winzigen Schluck ein, probierte, füllte beide Gläser bis zur Hälfte und setzte sich ihr gegenüber. »Sein Weinkeller ist nicht übel.«
»Ja, davon versteht er was.« Sie nahm ein Feuerzeug aus ihrer Hosentasche und zündete mehrere Teelichter an, die mit bunten Glaskugeln in einer silbrig glänzenden Schale lagen. »Ich weiß nicht, wie lange ich noch durchhalte, Richard. Warum haben wir uns nicht früher getroffen? Wir haben viel zu viel Zeit verloren.«
»Als Christina und ich geheiratet haben, warst du –« Richard lächelte. »Du warst noch ein Baby, ein Wickelkind.«
Simone zog ihre Pumps aus und bettete ihre Füße auf seinen Schoß. »Jetzt übertreibst du. Ich erinnere mich sehr gut an eure Hochzeit.« Sie nahm ihre Armbanduhr ab, legte sie auf den Tisch und schob, ohne nachzudenken, die Ärmel ihres Pullovers hoch, zog sie aber augenblicklich wieder nach unten, als sie in sein Gesicht blickte.
Richard hielt das Rotweinglas mit beiden Händen, betrachtete angespannt die rötlich schimmernde Flüssigkeit darin und dachte an die Spuren der Misshandlungen, die er an Simones Körper gesehen hatte, und daran, was Schöllen ihr seit fast sechs Jahren antat. Gerald Schöllen war ein Mann, dessen Sexualität gekoppelt war an Gewalt und Unterwerfung, Macht und Besitz. Er besaß kein Unrechtsbewusstsein und hätte gewiss keine Skrupel gehabt, sich irgendwann auch an seinen Kindern zu vergreifen.
»Es ist, seitdem ich mit dir zusammen bin, ein einziges Mal passiert, und das war am letzten Sonntag. Er hat mich nur geschlagen. Bevor er Schlimmeres anrichten konnte, bin ich ihm entwischt«, sagte Simone, als habe sie Richards Gedanken gelesen, und schaute dabei verlegen auf die Tischplatte.
»Nur!«, wiederholte Richard bitter. »Du sagst, er hat mich nur geschlagen , und wenn du das Wort Schlimmeres benutzt, möchtest du mir mitteilen, dass es ihm nicht gelungen ist, dich zu vergewaltigen, dir die Rippen zu brechen oder dich umzubringen?«
Simones Gesicht überzog sich mit einer gleichmäßigen Röte. Geralds Gewalttätigkeiten hatten gleich nach Ingas
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