Der Puppenfänger (German Edition)
versilbertes Stövchen und schob den Brotkorb neben Volkers Gedeck.
»Erzähle mir, was dich bedrückt!«, bat er.
Sie räusperte sich und war bemüht, ihrer Stimme einen sachlichen Ton zu geben. »Eine junge Frau hat gestern bei Renate Kuchen gekauft und erzählt, dass sie Beate Buttenstett besuchen möchte. Anschließend kam sie zu Tommy und mir in die Apotheke und verlangte nach Kopfschmerztabletten. Eben habe ich sie wieder gesehen. Sie fuhr am Haus vorbei. Richard weiß von Simone, dass diese Frau eine Detektivin ist, die von Beate Buttenstett beauftragt wurde, nach Gerald Schöllen zu suchen.«
»Interessiert sie sich nur für den vermissten Schöllen, oder will sie in der Vergangenheit graben und Unruhe stiften? Hat sie Fragen gestellt?«
Marianne zuckte mit den Achseln. »Leider ist sie bereits gestern im Laden auf Tante Martha getroffen, die ihre Spökenkiekerei zum Besten gegeben hat. Offenbar ist es der jungen Dame sichtlich schwergefallen, ihr Interesse an Marthas Geschichten zu verbergen. Eben hat Renate angerufen und mir erzählt, dass diese Frau sich heute Morgen nach der Familie Rosenbring erkundigt hat und wissen wollte, wo sie Alexandra finden kann.«
»Es wäre verfrüht, sich deswegen Sorgen zu machen. Wir müssen abwarten.«
»Ja, wahrscheinlich hast du recht. Ich bin entsetzlich angespannt«, vertraute sie ihm an. »Diese junge Frau …? Sie wirkte auf mich, als sei sie …« Marianne zögerte. »Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, es ist nur ein Gefühl. Um ehrlich zu sein, ich bin sehr beunruhigt.«
Volker nahm ihre Hand und lächelte beruhigend. »Es gibt keinen Grund, sich aufzuregen, Liebes.«
»Wahrscheinlich nicht«, stimmte sie halbherzig zu, während sie sich große Mühe gab, sein Lächeln zu erwidern. Sie sah ihn an. Volkers Haar war licht geworden in den letzten Jahren. Früher war er untersetzt, fast dick gewesen. Doch seit einigen Wochen verlor er kontinuierlich an Gewicht. Er bewegte sich regelmäßig und ernährte sich gesund. Vor der geplanten Heirat mit ihr unternahm er tatsächlich alles Denkbare, um ihr zu gefallen.
Volker erwiderte ihren Blick. Er sah die Traurigkeit in ihren Augen und wusste, woran sie dachte. »Wenn Kinder vor den Eltern und den Großeltern sterben, geschieht eine Katastrophe«, murmelte er.
»Die Welt gerät aus dem Gleichgewicht«, bekannte sie. »Die Regel des Sterbens, alt vor jung, wird außer Kraft gesetzt. Ganz gleich, wie sehr du dich bemühst, wie tief dein Glaube an Gott ist. Du erkennst keinen Sinn in dem Geschehen, und du verlierst jede Hoffnung. Wen trifft die Schuld an dem Tod der Kinder? Christina? Mich? Müssen wir über Schicksal reden? Über Fügung oder über Gottes Wille? Sag es mir.«
Volkers Gesicht erstarrte, und der Ausdruck seiner Augen wurde hart. »Ich werde die Schuld nicht bei den Unschuldigen suchen und genauso wenig bei Gott! Wann werden die Verbrecher büßen und wo? Im Himmel? In der Hölle? Mir ist es lieber, sie bekommen ihre Strafe im Hier und Jetzt!«
Nüchtern betrachtet gab es tatsächlich keinen Anlass zur Besorgnis, überlegte Marianne. Zu Tommy und zu Renate Lübhein kamen häufig Fremde. Warum nicht eine Detektivin? Die Bäckerei war auch außerhalb des Dorfes bekannt für gute Qualität, und die Jugendstil-Einrichtung der Apotheke war bereits des Öfteren in Lokalblättern und in Fachzeitschriften abgebildet gewesen. Die Schränke ihres Urgroßvaters hatten seitdem so manchen interessierten Antiquitätenhändler in den Ort gelockt. Marianne betrachtete den Brotkorb, griff nach einem Rosinenbrötchen und legte es auf ihren Teller. Sie wollte gerne mit der Vergangenheit abschließen und positiv in die Zukunft schauen. Vielleicht war der Name Rosenbring zufällig gefallen, überlegte sie und wusste doch, dass es solche Zufälle nicht gab.
*
Tante Martha wohnte in der Dorfmitte, in einem älteren Klinkerbau. Heide hatte nach einer Türklingel oder einem Klopfer gesucht und anschließend – als sie weder das eine noch das andere entdeckte – einige Male laut gerufen. Weil die Hausherrin sich auch daraufhin nicht meldete, drückte sie energisch die Messingklinke hinunter und war nicht überrascht, die Haustür unverschlossen vorzufinden. Heide betrat einen langen, schmalen Flur, der das Erdgeschoss mittig teilte, blieb zögernd stehen und rief ein weiteres Mal. Noch bevor sechs der zehn Minuten Wartezeit vergangen waren, die Heide ihrer Ungeduld abgetrotzt hatte, öffnete die alte Dame eine der
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