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Der Puppenfänger (German Edition)

Der Puppenfänger (German Edition)

Titel: Der Puppenfänger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joana Brouwer
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wirkte weiblicher als Beate und war ihm bereits auf den ersten Blick wesentlich sympathischer gewesen. Allerdings hielt auch Simone Schöllen – rein äußerlich gesehen und obwohl sie mindestens zehn Jahre jünger war als Heide – keinem Vergleich mit seiner Schönen stand. Heide war größer und besser proportioniert. Obwohl sie sich immerzu über ihre Rundungen beklagte und ständig übers Abnehmen sprach, wollte er kein einziges Gramm an ihr missen.
    Widerwillig trank er den kalten Kaffee und setzte die Befragung dort fort, wo Beate Buttenstett sie mit ihrem Erscheinen unterbrochen hatte. Allerdings merkte er sehr schnell, dass er sich keinen Zentimeter vorwärts bewegte, da die Hausherrin offenbar beschlossen hatte, Märchen zu erzählen. Er gab die Gesprächsleitung achselzuckend an Haila weiter, der ebenso wenig erreichte wie er. Eine Weile ließen sie Simone Schöllen reden, ohne sie zu unterbrechen. Im Wesentlichen erfuhren sie, dass Gerald Schöllen ein äußerst friedfertiger Mensch, ein liebevoller Vater und Ehemann und ein fairer, erfolgreicher Geschäftsmann gewesen sei.
    »Eines weiß ich sicher«, stellte Dieter fest, nachdem sie sich verabschiedet hatten und zu ihrem Wagen gingen. »Ich habe selten jemanden befragt, der mich dermaßen ungeschickt angelogen hat wie Frau Simone Schöllen. Torben soll herausfinden, wer Ichad ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er keine Person, die diesen Namen trägt, in Paulas Krabbelgruppe finden wird. Außerdem werden wir uns verstärkt auf die Suche nach Schöllens Wagen begeben. Aber zuerst sehen wir uns einmal Holte an.«
    Michel verzog keine Miene und schwieg.
    »Was ist mit dir, Haila?«, fragte Dieter.
    »Die Kleine da, diese Paula, mit der möchte ich keinen Nachmittag verbringen«, knurrte Michel und dachte dabei an seine verstorbene Frau Barbara und an die ruhige, besonnene Art, mit der sie Jenny erzogen hatte.
    »Bist du beleidigt, weil sie dich nicht mag?«, fragte Dieter amüsiert. »Oder weißt du jetzt endlich, wie dankbar du sein musst. Nicht jedes Kind ist so artig wie deine sanfte Jenny.«
    *
    18 . Mai 2006
    Meine liebe Schwester,
    bis vor einigen Wochen wussten meine Töchter nicht, wer Suse oder wer Bine ist. Es war Bine, die als Erste begriff. Sie schaute in den Spiegel, zeigte auf ihr Abbild und anschließend auf sich selbst und nannte ihren Namen. Jetzt haben beide ihr eigenes Ich erkannt. Sie wissen, dass sie getrennt voneinander existierende Personen sind, und haben damit einen großen Teil ihrer Zweisamkeit bereits verloren. Niemand weiß besser als ich, dass die Zwillinge mit dieser Erkenntnis den ersten Schritt in das finstere Tal der Einsamkeit gegangen sind.
    Am liebsten spielen sie in Mariannes Garten. Ihr Vater hat ihnen ein hellblaues Miniaturhaus mit den passenden Einrichtungsgegenständen aus Holz gebaut und die Möbel bunt angestrichen. In ihrem Spielhaus befinden sich zwei Zimmer. Die Fenster haben bruchsichere Butzenscheiben und Klappläden. Der Eingang besteht aus einer kunstvoll gestalteten Kassettentür. Sie lässt sich mit einem goldfarbenen Schlüssel verschließen, und über dem Schloss wurden ein gleichfarbiger Griff und ein Schildchen angebracht, in das die Namen der Bewohnerinnen eingraviert sind.
    Nur manchmal machen meine Töchter mir ein wenig Platz in ihrer geheimen Welt der Zweisamkeit. Sie laden mich in ihr Wohnzimmer ein. Dann darf ich mich auf ihre niedrige rosa Holzbank setzen, und sie kredenzen mir selbstgebackenen Sandkuchen. Bis vor kurzem tranken wir den Phantasiekaffee aus imaginären Tassen. Doch letzte Woche bin ich auf den Dachboden gestiegen und habe das winzige blau geblümte Puppenservice aus unserer alten Spielkiste geholt. Sicherlich erinnerst du dich an das Geschirr. Suse und Bine freuten sich, als ich es ihnen in ihr Häuschen brachte, und schenkten mir verschiedene märchenhafte Getränke ein.
    Sie sprachen mit mir in der Sprache, die auch ich verstehe. Doch diese Momente des Glücks sind leider spärlich gesät. Sehr bald zeigten sie mir, dass mein Besuch lang genug gedauert hatte.
    Vor dem Kinderhäuschen steht ein lindgrünes Schaukel- und Klettergestell, daran hängen zwei armdicke Kletterstricke und vier Schaukeln mit rotem Sitzbrett und knallgelber Rückenlehne. Nebenan, auf einem aufgeschütteten, mit Efeu bewachsenen Hügel, befindet sich eine großflächige Sandkiste. Die Spitze des Babyberges können die Mädchen über eine flach geneigte Leiter direkt erreichen oder bäuchlings

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