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Der Puppenfänger (German Edition)

Der Puppenfänger (German Edition)

Titel: Der Puppenfänger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joana Brouwer
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Jahr sechsundachtzig. Wir spielen regelmäßig Schach, und sie schlägt mich öfter, als mir lieb ist. Wenn ich wissen möchte, wie viele Tore die Spieler des VfL Osnabrück vor drei Wochen oder vor zwei Monaten geschossen haben, rufe ich sie an. Sie kennt jedes Mal die richtige Antwort.«
    Die Bäckersfrau zeigte deutlich, dass Heides Reaktion nicht annähernd so ausgefallen war, wie sie es sich erhofft hatte. Sie zog die Mundwinkel nach unten, blickte in die Spiegelwand hinter der Theke, löste nervös die ansehnliche Schleife ihrer Servierschürze, um gleich darauf eine neue zu binden, ebenso untadelig und symmetrisch wie die vorherige. »Wie auch immer! Zumindest kostet diese alte Frau mich meine letzten Nerven«, klagte sie kopfschüttelnd. Sie atmete einige Male tief durch, besprühte die Glasfläche der Ablage und polierte ausgiebig mit einem geplätteten Küchentuch nach, ehe sie sich Heide erneut zuwandte. »Ja, die Menschen sind verschieden. Manche sind im hohen Alter noch richtig fit, und andere bekommen nichts mehr auf die Reihe.«
    Heide musterte Frau Lübhein, die, nachdem sie die Verkaufstheke zum Glänzen gebracht hatte, mit ihrem Tuch über das Glas einer gerahmten Fotografie fuhr. Während sie sich das Bild besah, auf dem mehrere Männer in der Berufskleidung der Bäcker abgelichtet waren, fiel Heide die unbekannte Schönheit mit dem Namen Alexandra Rosenbring ein.
    »Wissen Sie, wo ich die Familie Rosenbring finden kann?«, schoss sie aufs Geratewohl einen Versuchsballon ab.
    »Nein«, murmelte Frau Lübhein, den Blick starr aus dem Fenster auf die Straße gerichtet. »Den Namen Rosenbring habe ich noch nie gehört.«
    Bingo! Volltreffer!, entschied Heide, als sie das Brot vom Ladentisch nahm. »Es fällt mir schwer zu glauben, dass Sie Alexandra Rosenbring nicht kennen«, erwiderte sie, ehe sie der Bäckersfrau einen schönen Tag wünschte und den Laden verließ.
    *
    Simone Schöllen kam nach einer Weile in der Begleitung einer dunkelblonden Frau zurück in den Wohnraum und stellte sie Dieter und Michel als ihre Schwester Beate Buttenstett vor. Dieter musterte Beate interessiert. So sah er also aus, der Anlass seines Ärgers. Wegen dieser Frau – die weder Haila noch ihn direkt anschauen mochte und an deren Mundwinkel sich bereits Falten der Erbitterung eingegraben hatten – hatte seine anschmiegsame Heide den heftigsten Streit der letzten acht Wochen mit ihm vom Zaun gebrochen. Er begriff beim besten Willen nicht, was in sie gefahren war. Wie konnte sie einer Person vertrauen, in deren Gesicht er auf Anhieb las, dass sie in ihrem Leben wenig gelacht und vieles hatte erleiden müssen. Außerdem fand er es äußerst fragwürdig, dass sie dem Anschein nach ebenso nervös war wie ihre Schwester Simone.
    Beate brachte ein knappes Guten Tag über ihre Lippen und lehnte das Angebot ihrer Schwester, eine Tasse Kaffee mit ihnen zu trinken, rundweg ab. Stattdessen hockte sie sich zu Paula auf den Teppich und umarmte sie.
    »Hallo Mäuschen, wollen wir ein wenig draußen spielen?«
    »Das ist eine sehr gute Idee«, stimmte Simone Schöllen eifrig und hocherfreut zu.
    Beate nahm Paula auf den Arm und verließ mit dem Kind den Raum.
    Wenig später waren Tante und Nichte durch die deckenhohen Fensterscheiben im Garten zu sehen. Beate platzierte Paula, die jetzt einen blauen Anorak trug, auf der Sitzfläche einer Schaukel, gab ihr ein paar Mal Schwung, hob das Kind anschließend auf eine Rutsche und marschierte kurz darauf mit ihr zu einem Sandkasten. Dieter beobachtete Beate und fühlte sich bei ihrem Anblick an ein aufgescheuchtes Huhn erinnert. Sobald sie einmal nicht an dem Kind zerrte, strich sie die Haare hinter die Ohren oder zupfte an ihrem langen, weiten Rüschenrock, an ihrem Pullover oder Schal herum.
    Dieter nippte an seinem Kaffee, stellte fest, dass er zu dünn und mittlerweile auch kalt geworden war, und machte sich seine Gedanken über die beiden Schwestern, die sich zwar ähnlich sahen, aber trotzdem gegensätzliche Gefühle in ihm hervorriefen. Beate Buttenstetts Anblick bereitete ihm Unbehagen, ohne dass er sich dieses Gefühl genau erklären konnte. Es mochte daran liegen, dass sie der Anlass seiner Streitereien mit Heide war, die ihn belasteten, weil sie die Nacht überdauert hatten. Des ungeachtet, war Simone Schöllen, mit den leicht blondierten Haaren, der adretten Frisur und der geschmackvoll gewählten, figurbetonten Kleidung, zweifellos die hübschere der beiden Schwestern. Sie

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