Der Puppenfänger (German Edition)
Stichwort. Es erinnerte sie an den Zweck ihres Besuches. »Sie erzählten mir gestern, Marianne Wanner sei vom Schicksal ordentlich gebeutelt worden und man müsse lediglich auf den Friedhof gehen, dann wisse man Bescheid. Was wollten Sie mir damit sagen?«
Martha lächelte listig und blickte Heide aus funkelnden Augen an. »Wem hab ich das erzählt?«
Heide schmunzelte. »Mir!«
»Wer ist mir ?«
Heide mochte Tante Martha. Der Wortwitz und auch das Temperament der alten Dame gefielen ihr. »Ich!«, kicherte sie.
»Wer ist ich ? Ich ist nicht Beates Freundin.«
»Nein? Warum ist Beate nicht meine Freundin?«
»Beate und du, ihr passt nicht zusammen. Beate hat keinen eigenen Kopf. Das hat se von ihrer Mutter geerbt. Ilse hatte auch keinen, aber du, du hast einen. Da wette ich drauf!«
»Okay. Ich verrate Ihnen ein Geheimnis, wenn Sie mir versprechen, es für sich zu behalten.«
Martha nickte. »Nur zu, ich bin schon ganz kribbelig. Spann mich nicht länger auf die Folter.«
»Ich bin eine Privatdetektivin und versuche herauszufinden, wo sich Gerald Schöllen befindet. Ich verdiene mein Geld also mit dem, was Sie nicht ausstehen können! Ich stecke meine Nase in die Angelegenheiten fremder Leute.«
»Das ist interessant. Hast du eine Pistole bei dir?«
»Nein«, log Heide und dachte an die Waffe in ihrer Handtasche und daran, dass Tante Martha und Oma Lydia fast die gleichen Fragen stellten. Ihre Omi ängstigte sich auch unentwegt um sie, träumte von wilden Schießereien, Straßengangs und Entführungsdramen. »Polizisten sind bewaffnet. Ich wäre zwar gerne eine Polizeibeamtin geworden, aber ich bin es nicht.«
»Warum bist du keine geworden? Du guckst mich an, als ob es dir leidtut.«
Heide seufzte. »Ich habe den sportlichen Anforderungen nicht genügt.«
Martha lachte. »Du bist, um es mal so zu sagen, wie es ist, mit Pauken und Trompeten durch die Prüfung gefallen.«
»Genauso ist es.« Diese Schmach würde sie nie überwinden, gestand Heide sich ein und seufzte. »Ich bin«, erklärte sie, »leider ziemlich unsportlich und habe den Sporttest, der damals während der Aufnahmeprüfungen durchgeführt wurde, nicht bestanden.«
Der athletische Zehnkämpfer Dieter war fassungslos gewesen und hatte, als sie ihm von der Blamage berichtete, gelacht wie nie zuvor in seinem Leben. Anschließend hatte er ihr vorgeschlagen, ordentlich mit ihm zu trainieren und das ganze Prozedere zu wiederholen. Doch Heide hatte seinen Vorschlag entschieden und empört von sich gewiesen. Wenn der deutsche Staat sie nicht als Polizistin wollte – na bitte – dann eben nicht. Sie hatte beschlossen, erst Jura zu studieren und danach eine Detektei zu gründen, dieses Vorhaben gegen den Willen ihres Vaters zügig durchgesetzt und ihre Entscheidung im Großen und Ganzen nie bedauert.
»Ich sagte schon, dass ich verschwiegen bin wie ein Grab – wenn ich will«, wechselte Martha abrupt das Thema. »Schöllen ist tot, da wette ich drauf, aber mir glaubt ja keiner. Um ihn ist es nicht schade. Das war einer, mit dem ein anständiger Mensch nichts zu tun haben sollte. Vor ein paar Jahren wurde schon einmal viel über die Familie Wanner geredet. Wenn zu viel und zu lange gequasselt wird, dann macht man den Menschen, um die es geht, das Leben schwer. Das will ich Marianne nicht antun. Aber eines verrate ich dir. Geh auf den Kirchhof und guck dich da mal um.«
Ältere Leute beschäftigten sich liebend gerne mit der Grabpflege und gingen häufig zum Friedhof, dachte Heide. Sie musste nicht das Grab ihrer Mutter besuchen, um sich ihr nahe zu fühlen. Einen Friedhofsbesuch würde sie sich ersparen. »Wo sollte ich mich Ihrer Meinung nach umsehen?«, fragte sie.
»Über wen haben wir denn eben gesprochen?«
»Über Gerald Schöllen!«
»Und über wen noch?«
»Über die Familie Wanner.«
»Guck einer an, wir verstehen uns.«
»Nein, ich begreife nichts. Was soll dieses verflixte Ratespiel? Ich bin auf der Suche nach dem vermissten Gerald Schöllen. Seit gestern tappe ich im Dunkeln, und Sie werfen mir kleine Häppchen hin, die mich nicht satt machen. Was – verflixt noch einmal – hat die Familie Wanner mit Schöllen zu schaffen?«
»Du musst weiter denken, Kind. Ich meine, nicht nur von gestern bis heute.«
Heide seufzte. Mittlerweile ging ihr das Frage-und-Antwort-Spiel, bei dem die Antworten stets im Nebel verschwanden und nicht zu greifen waren, auf die Nerven. Sie öffnete ihre Handtasche und suchte die Fotografie darin,
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