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Der Puppenfänger (German Edition)

Der Puppenfänger (German Edition)

Titel: Der Puppenfänger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joana Brouwer
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drei Türen, die sich auf der linken Flurseite befanden. Martha zeigte ehrliche Freude über den Besuch. Ihre niedlichen, grauen Löckchen wippten, als sie Heide fröhlich begrüßte und in eine kleine Wohnstube bat, deren Fenster zur Hauptstraße zeigten.
    Heide ließ sich auf ein zierliches, dunkelgrünes Plüschsofa fallen, das den Namen Kanapee verdiente, und streckte die Beine von sich. Tante Martha stellte eine Porzellan-Bonbonniere auf den Tisch, direkt neben ein aufgeschlagenes Buch, und nahm den Deckel ab. Heide entdeckte zu ihrer Freude Konfekt, ließ sich von der Gastgeberin erzählen, dass diese Süßigkeiten in eigener Heim- und Handarbeit entstanden waren, und langte zu. Nachdem die erste dieser Köstlichkeiten vernascht war, griff sie nach dem Buch, registrierte mit leichter Verwunderung, dass sie die Bibel in der Hand hielt, legte sie zurück und verdrückte einige weitere Pralinchen, bis ihr Kreislauf langsam wieder in Schwung kam.
    »Du musst was Vernünftiges in den Magen kriegen. Bestimmt hast du noch nicht gefrühstückt«, sagte Tante Martha, als sie zurückkam. »Jemand, der morgens mit diesem Heißhunger in meine Bonbondose fasst, hat nichts Anständiges gefrühstückt. Ich hab dir ein Käsebrot gemacht mit Lübheins Weggen. Der schmeckt besonders lecker, wenn man ihn dick mit guter Butter bestreicht und dann ’ne Menge jungen Gouda drauflegt.«
    Heide griff nach dem belegten Korinthenbrot, biss hinein, kostete, genoss und stellte zufrieden fest, dass Tante Martha nicht übertrieben hatte. Sie konzentrierte sich mit allen Sinnen auf ihren Imbiss und war sich gewiss, niemals zuvor in ihrem Leben ein so köstliches Brot gegessen und einen so delikaten, aromatischen Kaffee getrunken zu haben.
    Tante Martha setzte sich ihr gegenüber und beobachtete sie zufrieden. »Schmeckt es dir?«
    »Köstlich!«, erwiderte Heide mit vollem Mund. Sie wischte sich mit der Serviette den Mund ab, genoss den letzten Schluck Kaffee und seufzte behaglich. »Jetzt geht es mir richtig gut. Das war wundervoll. Ich fühle mich wie neugeboren.«
    »Schön, dass du satt bist.«
    »Sie lesen in der Bibel?«
    »Manchmal, wenn ich mir nicht sicher bin, was ich machen soll, sagen mir Gottes Worte, was falsch und was richtig ist.«
    »Heute auch?«
    »Ja, Lukas, Kapitel 6, der 37. Vers. Ab und an kommen einem ja Zweifel an dem, was unser Herrgott mit seinen Menschenkindern anstellt, aber ich bin nun mal ein Christenmensch und kein Chinese. Deshalb muss ich wohl glauben, dass alles, was er tut, irgendwie seine Richtigkeit hat.«
    Heide war verblüfft. Sie schwieg eine Weile und dachte darüber nach, ob Tante Martha mit der Bemerkung, sie sei kein Chinese, etwas Besonderes gemeint haben könne. Sie beobachtete ihre Gastgeberin, fand aber in ihrer Mimik rein gar nichts, was diesen Verdacht bestätigte. Tante Martha hatte das Buch in beide Hände genommen und schaute mit regungslosem Gesicht auf den schwarzen Einband.
    Ein bisschen verschroben war die alte Frau tatsächlich. In dieser Hinsicht musste man Renate Lübhein und auch Beate zustimmen. Aber das tat der Sympathie, die Heide für sie empfand, keinen Abbruch. Wahrscheinlich war Tante Martha zu oft allein und vereinsamte langsam, aber stetig. Möglicherweise erging es den alten Leuten auf dem Land ebenso wie den Städtern, wenn die Kinder und Enkelkinder nicht in der Nähe wohnten. Sie würde Tante Martha ihre Telefonnummer geben und sich demnächst mit einer Grußkarte für das leckere Frühstück bedanken.
    Eigentlich hatte Heide sich vorgenommen, nach Marthas Enkelin Nele zu fragen, die laut Beate gar nicht existierte. Doch jetzt ließ sie von ihrem Vorhaben ab. Wahrscheinlich lag Beate mit ihrer Vermutung richtig, aber wen interessierte es, ob Nele in der Realität existierte. Was war Schlimmes daran, dass Tante Martha sich ihre Wünsche in den Alltag träumte. Hatte sie selbst als Kind nicht auch lange Gespräche mit einem imaginären, rothaarigen Mädchen geführt? Und wem hatte sie damit geschadet? Niemandem. Also bitte: Etwas mehr Herz! Beate konnte ihr mit ihrer angeblichen Wahrheitsliebe und ihrem Gefasel von einer beginnenden Altersdemenz den Buckel runterrutschen.
    Martha schenkte Heide ungefragt Kaffee nach und schob ihr das Milchkännchen zu. »Willst du mir nicht erzählen, warum du ins Dorf gekommen bist? Du denkst, dass ich ’ne Tratsch-Tante bin. Das stimmt, aber wenn es drauf ankommt, kann ich schweigen wie ein Grab.«
    Das Wort Grab war Heides

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