Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Puppenfänger (German Edition)

Der Puppenfänger (German Edition)

Titel: Der Puppenfänger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joana Brouwer
Vom Netzwerk:
selten geschehe, dass eine Kinderliebe in einer Ehe ende.
    Als Tommy ihr Gefasel nicht länger ertrug, nahm er ihre Hände von seinem Körper, blickte sie gedankenvoll an und fragte spöttisch: »Warum machst du das, Beate?«
    »Was?«, fragte sie erschrocken.
    »Warum idealisierst du die Vergangenheit?«
    »Bitte? Ich idealisiere die Vergangenheit? Würdest du mir bitte erklären, wie du das gemeint hast?«
    »Du presst dein Leben in eine rosafarbene Schablone, und du redest, als wären wir seit vielen Jahren ein Herz und eine Seele. Wir haben niemals gemeinsam den Kindergarten besucht.«
    »Ich hatte eine wunderbare, märchenhafte Kindheit«, widersprach sie mit Tränen in den Augen. »Die lass ich mir von niemandem nehmen, auch nicht von dir. Du weißt, dass mein Vater damals Bürgermeister im Dorf war. Allein aus diesem Grund habe ich immer eine Sonderstellung eingenommen. Ich war ebenso beliebt wie er. Obwohl er der Rektor unserer Schule war, haben ihn alle vergöttert. Das ist äußerst ungewöhnlich. In der Regel ist kein Lehrer bei allen Schülern beliebt. Das war bei meinem Vater allerdings der Fall. Den liebte jeder, von der ersten bis zur Abschlussklasse.«
    »Ja«, sagte Tommy und dachte, während sie über den alten Buttenstett sprach, jetzt beginnt ihr Theaterstück. Sie führt allein Regie, verteilt die Rollen, übernimmt selbst die Hauptrolle der allseits beliebten Prinzessin. Andere Mädchen werden zu ihren Hofdamen ernannt, Richard zu ihrem Lakai und ich selbst – Thomas Orthes – zum Prinzen ihres Herzens.
    »Du weißt genau wie ich, dass der süße Tommy und die kleine Beate bereits ein Herz und eine Seele waren, als sie noch gemeinsam die Grundschule besuchten«, hörte er Beate sagen. »Und du weißt auch, dass …«
    »Ja! Ja!«, wiederholte er mehrere Male und ließ sie lamentieren. Er erinnerte sich sehr gut daran, dass die pausbäckige, pummelige Beate, die zu allem Überfluss auch noch die Tochter des alten Buttenstett war, ihn zu ihrem Favoriten erwählt hatte, als er in der vierten Klasse gewesen war und sie in der ersten. Auf dem Pausenhof war sie ständig in seiner Nähe gewesen, und auch an den Nachmittagen war sie ihm kaum von der Seite gewichen. Sie hatte sich immer benachteiligt gefühlt und war es auch gewesen. Möglicherweise hatte Beate während der bunten, schönen und lebenswerten Spielzeiten ihrer Kindheit ab und an eine der Nebenrollen übernehmen dürfen. Allerdings nur, weil die wahren Prinzessinnen Mitleid mit ihr gehabt hatten. Die Hauptrollen in der realen Welt waren stets bravourös und mit aller denkbaren Selbstverständlichkeit von anderen gemeistert worden.
    »Wir lieben uns doch, Tommy«, sagte Beate bittend und begann zu weinen.
    »Ja«, erwiderte er und wünschte sich weit weg. »Wir lieben uns, Beate.«
    *
    Heide und Dieter saßen in Tante Marthas Wohnzimmer. Dieter hatte es sich auf dem plüschigen Kanapee gemütlich gemacht, sich nach dem Nachnamen ihrer Gastgeberin erkundigt und erfahren, dass sie Martha Holtmanns hieß. Bereits nach wenigen Minuten war es ihm gelungen, der alten Dame mit seinem jungenhaften Lächeln und einem Kompliment über ihre frisch ondulierte, graue Lockenfrisur ein Strahlen ins Gesicht zu zaubern und ihre anfängliche Skepsis zu vertreiben. Nachdem ihm das geglückt war, warf er Heide einen triumphierenden Blick zu und kam zum abschließenden Teil seines geplanten Feldzuges.
    Er erzählte von der Polizeiarbeit im Allgemeinen, sprach über Friedhöfe, über die Grabstätten der Familien Wanner und Rosenbring und über schwere Schicksalsschläge, die manchen Menschen besondere Stärke abverlangten. Während seiner Charmeoffensive ließ er es sich gutgehen, nutzte das zierliche Sofa in der vollen Breite, hatte die Arme auf die Lehnen gelegt und die Beine weit von sich gestreckt. Ab und zu griff er nach einem Stückchen Konfekt, lobte die Beschaffenheit und den Geschmack der selbstgemachten Süßigkeiten, strahlte Tante Martha aus seinen blauen Augen an, nippte an seinem Kaffee, pries das starke Gebräu in den höchsten Tönen und hatte das Herz der alten Dame gewonnen, ehe die Tasse leer getrunken war.
    »Ich hab ja die Sammelkiste, da leg ich immer alles rein, was so in der Zeitung steht, von den Leuten, die ich kenne«, sagte Tante Martha nach einer Weile bereitwillig. »Die Todesanzeigen und alles andere. Das kann ich Ihnen gerne zeigen, Herr Kommissar.« Sie erhob sich schwerfällig und verließ das Zimmer.
    Dieter guckte Heide

Weitere Kostenlose Bücher