Der Puppenfänger (German Edition)
einen Spruch an einem Grabschmuck gesehen, der sich liest wie ein Rachefeldzug.« Sie schüttelte fassungslos den Kopf und wiederholte das Gelesene laut. » Gutes wird mit Gutem vergolten, Böses mit Bösem. Nichts wird vergessen, die Zeit der Vergeltung wird kommen .«
Als sie die Zeilen ein weiteres Mal überflog, begriff sie plötzlich. Wie hatte Tante Martha sinngemäß formuliert? › Wenn ich mir nicht sicher bin, was ich machen soll, sagen mir Gottes Worte, was falsch und was gut ist. Manchmal kommen mir Zweifel, ob alles richtig ist, was der Herrgott macht, aber ich bin ein Christenmensch und kein Chinese.‹ »Der Vers 37 des Lukas-Evangeliums, von dem Tante Martha gesprochen hat, steht in einem Widerspruch zu der Aussage, die auf dieser Schleife zu lesen ist, Dieter. Vermutlich ist ihr der ungewöhnliche Grabschmuck genauso aufgefallen wie uns, als sie den Friedhof besuchte. Daraufhin hat sie sich Gedanken über Rache, Hass und Vergebung gemacht und in der Bibel nach Antworten auf ihre Fragen gesucht.«
Dieter nickte. Heide hatte ihm gestern Abend die betreffende Bibelstelle gezeigt . »Verdammet nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebet, so wird euch vergeben «, rezitierte er jetzt aus der Erinnerung und fügte hinzu: »Holte ist eine kleine Ortschaft. Ich nehme an, die gute Tante Martha weiß mehr über die Familiengeschichte der Wanners und der Rosenbrings, als sie dir verraten hat.«
»Das denke ich auch.«
»Obwohl ich keinen Zusammenhang zwischen dem Mord an Laxhoff, dem Verschwinden von Schöllen und den Familien Wanner und Rosenbring sehe, schlage ich vor, der alten Dame einen Besuch abzustatten. Dir geht es anschließend besser, weil du auf dein Bauchgefühl gehört hast, Heide, und ich bin ruhiger, wenn ich deine imaginäre Friedhofsfährte abhaken kann.«
»Die einzige Verbindung zwischen den kriminellen Halbbrüdern und diesen Familien könnte das von mir vermutete Liebesverhältnis zwischen Richard Wanner und Simone Schöllen sein«, gab Heide zu bedenken.
Dieter steckte die Hände in die Taschen seiner Lederjacke und frotzelte: »Du weißt, ich kann nicht nur mit den jungen, ich kann auch mit den älteren Damen. Deswegen werde ich mal mein Glück bei Tante Martha versuchen. Möglicherweise erzählt sie mir mehr als dir.«
»Angeber«, murmelte Heide, als sie nach ihm über die Grabeinfassung aus Buchsbaum stieg. »Mal gucken, ob du heute Abend Glück bei den jüngeren Damen hast. Falls du mich mit der Bezeichnung junge Dame meinst, könntest du dich irren, du Macho.«
»Wir sollten uns ein Butterbrot bei Tante Martha abholen. Hast du mir nicht erzählt, ihre Brote sind genauso lecker wie die deiner Oma Lydia? Mein Magen fühlt sich an, als hätte ich ihn seit einer Woche nicht mehr gefüttert.«
»Besser«, gestand Heide. »Tante Marthas Butterbrote schmecken besser als die von Oma Lydia. Auch ihre Pralinchen sind köstlich.«
*
Beate wachte auf und fühlte Tommys Hand an ihrem Nacken. Sie drehte sich auf den Rücken, öffnete die Augen und sah sein Gesicht über ihrem. Obwohl sie wusste, dass es wahrscheinlich nicht geschehen würde, wünschte sie sich inständig, er würde sie umarmen. Tommy war eigen. Er hasste den Austausch von Zärtlichkeiten vor der morgendlichen Dusche. Sicherlich war er, ehe er sie geweckt hatte, im Bad gewesen und hatte sich dort die Spuren der gemeinsam verbrachten Nacht abgewaschen. Bereits am Anfang ihrer Affäre, die sich mittlerweile mit sehr viel Mühe ihrerseits zu einer vorehelichen Gemeinschaft entwickelt hatte, war Beate entschlossen gewesen, sein eingebildetes Leiden zu ignorieren. Sobald ihr erstes Kind geboren war, würde er ohnehin keine Zeit für seine Marotten mehr haben und sie blitzschnell vergessen. Sie warf ihm einen Handkuss entgegen und war bemüht, das Gefühl der Fremdheit, das sie oft empfand, wenn sie in seinem Bett aufwachte, hinwegzulächeln.
Tommy ordnete ihr Lächeln und die hochgezogenen Augenbrauen richtig ein. Beate konnte ihm so leicht nichts vormachen. »In welcher Reihenfolge wollen wir vorgehen, Beate«, fragte er, obwohl der morgendliche Ablauf bereits seit vielen Jahren immer derselbe war. »Zähne putzen, duschen, frühstücken oder zuerst Liebe machen?«
»Vor dem Duschen Liebe machen ist für dich nicht möglich«, erwiderte sie leichthin.
»Das ist richtig«, stimmte er zu, stand auf und ging ins Badezimmer. Dort seifte er über dem Waschbecken zum wiederholten Male an diesem Morgen seine Hände ein, nahm
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