Der Puppenfänger (German Edition)
sich anschließend die Unterarme vor, drehte den Wasserhahn auf, langte nach der Nagelbürste, bearbeitete seine Haut, bis sie schmerzte, trocknete sie ab, cremte sie sorgfältig ein und streifte ein frisch gewaschenes Paar Handschuhe über. Zurück im Schlafzimmer, steckte er die Hände in die Taschen seines weißen Bademantels und setzte sich zu Beate auf die Bettkante.
Beate gähnte. »Wenn ich es mir genau überlege, könnte ich ein zweites Nickerchen vertragen. Ich bin noch einige Tage krankgeschrieben. Magst du nicht noch einmal zu mir unter die Decke kriechen? Du würdest mich sehr glücklich machen. Wir könnten den neuen Tag genauso anfangen, wie wir den alten gestern beendet haben.«
Sie griff unter seinen Bademantel, spürte einen kurzen, beglückenden Moment die Innenseite seiner Oberschenkel und zog die Hand blitzschnell zurück, als sie in sein regungsloses Gesicht schaute. Er hatte die Lippen aufeinandergepresst und starrte mit verschlossener Miene auf den gerahmten Druck eines Picasso-Gemäldes. Beate wusste, dass er den Druck irgendwann von einer früheren Freundin geschenkt bekommen hatte. Was nicht bedeutete, dass es etwas über seinen Kunstgeschmack aussagte. Picassos Kind mit Taube hatte in den Achtzigern fast jede Studentenbude geschmückt. Tommy besaß ein sehr kompliziertes Innenleben. Doch ganz gleich, wie schwierig und anstrengend das Zusammensein mit ihm war, sie durfte niemals vergessen, dass er sie brauchte und liebte. Deswegen musste sie geduldig mit ihm sein und die eigenen Sinne schärfen. Es lag ihm eben nicht, einen Wunsch klar und deutlich zu äußern. Sie war darauf angewiesen, selbst herauszufinden, was er mochte. Wollte sie ihn glücklich machen, war sie gezwungen, sich an seine Bedürfnisse heranzutasten, sie zu erraten oder zu spüren. Niemals sagte er: Nein, ich möchte das nicht oder Dieses und jenes gefällt mir. Streichle mich hier oder küsse mich dort .
Sie hatte sich längst an sein verzwicktes, erzwungenes Ratespiel der Liebe gewöhnt, genau, wie sie sich damit abgefunden hatte, dass er nur mit ihr schlief, wenn die blickdichten Rollos heruntergelassen waren und Stereoanlage und Fernseher keinen Strom bekamen. Auch das Leuchten der Stand-by-Lämpchen an den Elektrogeräten irritierte ihn. Ihr erster und einziger Versuch, ihn im Kerzenschein zu verführen, war kläglich gescheitert. Wie leblos hatte er neben ihr gelegen, sie mit verhangenem, nach innen gewandtem Blick fixiert. So wie jetzt, als er in leicht gebeugter Haltung vor dem Bett stand und zu ihr herunter schaute. Beate legte eine Hand an seine Wange und fuhr mit der anderen zärtlich über seinen Nasenrücken, zeichnete seine Augenbrauen nach und streichelte ihm übers Haar. Eine unendliche Zärtlichkeit erfüllte sie, als sie ihn ansah, und trieb ihr Tränen in die Augen. Niemanden hatte sie je so sehr geliebt wie ihn, und niemals wieder würde sie sich einem anderen Mann auf diese schmerzhafte, aber auch beglückende Weise hingeben können.
»Bleib liegen«, stammelte Tommy verlegen. »Ich bringe dir das Frühstück ans Bett.« Ab und an gab es Momente in ihrem Zusammensein, überlegte er, in denen es ihm schlechtging, weil Beate ihn – naiv, wie sie war – in ihr Innerstes schauen ließ und sich ihm damit völlig wehrlos auslieferte. Warum begriff sie nicht, dass es die Intimität, die sie sich zwischen ihnen wünschte, niemals geben konnte? Oft hasste er sie in diesen vertraulichen Situationen, sorgte sie doch mit ihrem Verhalten dafür, dass er sich niederträchtig und gemein fühlte und gegen sein schlechtes Gewissen ankämpfen musste.
Beate nahm ihre Hände aus seinem Gesicht und schlang beide Arme fest um seinen Nacken. »Ich möchte nicht im Bett frühstücken.« Sie wusste, dass er, nachdem sie die Wohnung verlassen hatte, die Bettwäsche wechseln würde. Sollte sie sich allerdings in seinen Laken etwas Essbares in den Mund schieben, würde er auch noch das Bettgestell abwischen, die Matratze samt Bettdecke und Kissen zum Lüften auf den Balkon stellen und den Teppichboden im Schlafzimmer saugen.
Tommy befreite sich sehr abrupt aus ihren Armen. Sie schluckte ihre Enttäuschung runter und verdrängte die Tränen, die sich plötzlich und unerwartet zurückgemeldet hatten.
»Meine Bekannte, die Detektivin, war entsetzlich anstrengend«, klagte sie, mit Wut in der Stimme, nachdem sie sich wieder gefangen hatte. Sie folgte ihm, lediglich mit einem Slip bekleidet, in die Küche und fuhr fort:
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