Der Puppenfänger (German Edition)
denke, dass Sie Frau von der Heide nicht grundlos den Hinweis gegeben haben, sie möge sich auf dem Friedhof umsehen. Sie sagten, Marianne Wanner sei vom Schicksal ordentlich gebeutelt worden und man müsse lediglich auf den Friedhof gehen, dann wisse man Bescheid.« Lächelnd betrachtete er die Praline zwischen seinen Fingern, drehte sie einige Male, steckte sie in den Mund, kaute bedächtig, nickte wohlwollend und fuhr fort: »Was wollten Sie damit andeuten, Frau Holtmanns? Ich vermute, Sie haben den Spruch auf der Schleife an dem Blumenbukett gelesen, das auf der Grabstätte der Familie Rosenbring liegt. Sie haben sich zu Recht Ihre Gedanken dazu gemacht. Über Rache und Vergebung nachgesonnen. Aber wir begreifen die Zusammenhänge nicht. Sie müssen uns auf die Sprünge helfen. Wer hat den Strauß mit der Schleife auf der Grabstätte abgelegt und warum?«
Tante Martha schüttelte energisch den Kopf. »Das weiß ich wirklich nicht.« Sie schob die Zeitungsausschnitte übereinander, steckte sie mitsamt der Todesanzeige zurück in die Holzkiste, verschloss sie und stellte sie auf ihren Schoß.
»Die Familie Rosenbring hat Ihnen sicherlich eine Trauerkarte geschickt, als Alexandra starb«, versuchte Heide aufs Neue ihr Glück. »Würden Sie uns die Karte zeigen?«
Tante Martha schüttelte mehrere Male energisch den Kopf. »Wahrscheinlich habe ich es vergessen. Bestimmt sogar, aber ich glaube, ich habe damals keine Anzeige bekommen. Richtig! Damals war ich gar nicht zu Hause. Ich habe meine Enkelin Nele besucht.«
Heide ignorierte den Hinweis auf Nele, die, laut Beate Buttenstetts Aussage, lediglich in der Phantasie der alten Dame existierte. Sie griff nach Tante Marthas Hand und blickte ihr in die Augen. »Tante Martha, als wir uns das erste Mal trafen, sagten Sie, Sie seien der festen Meinung, Gerald Schöllen sei tot. Außerdem meinten Sie, dass es um ihn nicht schade sei, weil man als anständiger Mensch besser nichts mit ihm zu schaffen habe. Sie erzählten mir auch, vor ein paar Jahren sei viel zu viel über die Angehörigen der Familie Wanner geredet worden und damit habe man ihnen das Leben schwergemacht. Deswegen würden Sie kein Wort mehr über sie verlieren.«
»Tu ich auch nicht«, rief Tante Martha erzürnt. »Kein einziges Wort verlässt mehr meine Lippen. Ich schweige wie ein Grab.« Sie entzog Heide ihre Hand, streckte Zeige- und Mittelfinger hoch und fügte hinzu: »Ich schwöre es, bei allem, was mir heilig ist.«
»Hat Ihnen irgendjemand verboten, mit uns über die Familien Wanner und Rosenbring zu sprechen?«, fragte Dieter misstrauisch.
»So ein Blödsinn! Mir verbietet niemand den Mund. Ich sag genau das, was ich will«, empörte Martha sich. Sie legte ihre Hand wie schützend über die Holzkiste auf ihrem Schoß. »Das weiß doch jeder. Ich sag, was ich will. Oder etwa nicht? Ich lass mir von niemandem den Mund verbieten.«
»Da bin ich mir leider nicht mehr sicher«, zweifelte Heide. »Sie rieten mir, ich solle auf den Kirchhof gehen und mich dort umsehen. Diesen Ratschlag haben der Kommissar und ich mittlerweile befolgt. Wir haben uns die Grabstätten der Familien Wanner und Rosenbring angesehen und den Spruch auf der Schleife gelesen. Jetzt müssen Sie uns weiterhelfen. Was denken Sie, wer hat den Grabstrauß dort abgelegt?«
Tante Martha stellte ihre Sammelkiste auf den Tisch. Sie stützte sich mit den Handflächen auf den Sessellehnen ab, erhob sich mühsam, stieß dabei einen wehklagenden Seufzer aus und sah Dieter an. »Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen, Herr Kommissar. Alles, woran ich mich erinnere, habe ich Ihnen gesagt. Eigentlich begreife ich nicht einmal, worüber wir die ganze Zeit reden. Und einen Grabstrauß mit einer Schleife und einem Spruch habe ich schon viele Jahre nicht mehr gesehen.«
»Würden Sie mich anrufen, falls Ihnen noch etwas Wichtiges einfällt, Frau Holtmanns?«, bat Dieter. Er drückte ihr seine Visitenkarte in die Hand und lächelte sie freundlich an.
»Mir tun die Beine weh, Herr Kommissar«, erwiderte Tante Martha fast sanft. »Deswegen müssen Sie mich jetzt entschuldigen. Ich will mich ein Stündchen hinlegen. Vielleicht melde ich mich morgen bei Ihnen, wenn es mir bessergeht.«
»Du hast es wieder einmal vermasselt, von der Heide«, zog Dieter Heide auf, als die Haustür sich hinter ihnen schloss und sie nebeneinander zu seinem Wagen gingen. »Warum nur bist du so entsetzlich ungeduldig?«
»Ich begreife es nicht.«
»Was kapierst du
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