Der Puppenfänger (German Edition)
ihrer Schwester, der weit geöffnet vor ihrem Kleiderschrank lag, und begriff. Im Badezimmer entdeckte sie gleich darauf auf der Spiegelablage ein billiges Rasierwasser, das sicherlich niemals von Gerald Schöllen benutzt worden war.
Simones Auto hörte Beate, als sie auf dem Treppenansatz stand und überlegte, ob es ratsam war, sich auch im Erdgeschoss umzusehen. Sie schaute aus dem Korridorfenster, sah, dass ihre Schwester das Fahrzeug in der Einfahrt geparkt hatte und Paula aus dem Kindersitz hob. Wahrscheinlich hatte sie Inga in den Kindergarten gebracht, überlegte Beate. Es sah ihrer Schwester ähnlich, wegzufahren, ohne die Fenster zu schließen.
Beate wunderte sich über die Kälte, die sie plötzlich fühlte. Es war ihr egal, ob Simone sie entdeckte oder nicht. Ihre Schwester war für sie gestorben. Sie verließ das Haus, wie sie gekommen war, und brachte die Leiter zurück. Erst nachdem sie eine ganze Weile durch den Wald gelaufen war und ihr die Luft zum Atmen ausging, setzte sie sich auf einen Stapel Baumstämme und weinte sich ihre Enttäuschung von der Seele.
*
Richard Wanner hatte sich mit dem Rücken gegen ein leeres Bücherregal gelehnt und die Arme vor der Brust verschränkt. Er blickte abwechselnd Dieter Fuchs und Michel Haila an, dachte an Simone und ihre Kinder und daran, dass er sich nicht aus der Fassung bringen lassen würde.
»Wir haben einige Fragen, die Sie uns beantworten sollten, Herr Wanner«, begann Michel Haila.
»Ja bitte, fragen Sie«, erwiderte er ruhig. »Ich werde mich bemühen, Ihre Fragen korrekt zu beantworten.«
»Möchten Sie nicht von uns wissen, weswegen wir Sie bereits am frühen Montagmorgen stören, Herr Wanner?«, fragte Kriminalkommissar Fuchs.
»Den Grund für Ihr Erscheinen werde ich bestimmt erfahren, und ich habe Zeit«, sagte er betont gelassen.
»Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Sie ihn bereits kennen.« Dieter schaute Richard mit hochgezogenen Augenbrauen an und ließ seinen Blick dann durch den karg möblierten Raum schweifen. Zwei Teppiche lagerten aufgerollt vor einer kahlen Fensterfront. Mehrere Regale und eine Schrankwand waren leer geräumt, davor standen einige aufeinandergestapelte Umzugskartons und Bilderrahmen. Dass Wanner einen Umzug vor oder hinter sich hatte, war offensichtlich. »Sie kennen Frau Simone Schöllen, Herr Wanner?«, begann er.
»Ja.«
»Sie wissen, dass ihr Ehemann seit dem vergangenen Montag vermisst wird?«
»Ja.«
»Wo hielten Sie sich an diesem Tag auf?«
»Ich habe das Wochenende und den Montag bei meiner Mutter verbracht und bin erst am Dienstag zurück nach Nordhorn gefahren.«
»Sie waren das ganze Wochenende mit Ihrer Mutter zusammen?«
»Ja!«
»Möchten Sie umziehen, Herr Wanner?«
»Ja.«
»Erzählen Sie uns, wohin?«
»Selbstverständlich«, stimmte Wanner zu.
In seiner Miene zeigte sich weder Verlegenheit noch Schuldbewusstsein. Dieter bemerkte die Falten in Wanners hagerem Gesicht, den bitteren Zug um die Mundwinkel, seine grauen Haare. Der Mann wirkte überkonzentriert, fast kampfbereit. Er hielt die Hände dicht an den Körper gepresst, hatte den Oberkörper leicht vorgebeugt, die Beine gespreizt und vermittelte den Eindruck, jeden Moment zum Sprung anzusetzen, um seine Besucher anzugreifen und zu vertreiben.
»Ich habe vor einigen Monaten von einer deutschen Firma das Angebot bekommen, auf einer Baustelle in Schanghai die Bauleitung für ein Projekt im Wohnungsbau zu übernehmen«, erklärte Richard knapp. »Wir hatten die Absicht, am vergangenen Mittwoch aufzubrechen. Leider hat sich unsere Abreise verzögert. Ich musste unsere Flüge stornieren.«
»Darf ich fragen, über wen Sie sprechen, wenn Sie das Wort wir benutzen?«, hakte Dieter nach und fügte hinzu: »Selbstverständlich interessiert es mich auch, warum Sie nicht zum geplanten Termin abgereist sind.«
Richard steckte die Hände in die Taschen seiner Jeans und erklärte: »Simone Schöllen und ich haben beschlossen, Deutschland gemeinsam mit den Kindern zu verlassen. Gerald Schöllens Entführung − oder wie immer Sie sein Verschwinden nennen wollen − hat unsere Pläne leider vereitelt. Wir waren uns einig, dass man uns möglicherweise mit einer Straftat in Verbindung bringen würde, wenn wir tatsächlich abreisten. Um dem vorzubeugen, sind wir geblieben.«
»Wann haben Sie Ihre Reise ins Ausland geplant, Herr Wanner?«, wollte Dieter wissen.
»Vor einigen Monaten.«
»Sagen Sie mir bitte, wann genau dieser Entschluss
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