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Der Puppenfänger (German Edition)

Der Puppenfänger (German Edition)

Titel: Der Puppenfänger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joana Brouwer
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anzeigen. Ohne sie wirkte das frischgemähte Gras langweilig und öd. So, als wäre der Erdboden lediglich grasgrün angestrichen worden. Genau wie die Hecke, die aus immergrünen Gewächsen bestand und sich an der Grundstücksgrenze als undurchdringbare Wand aufbaute und ihr jetzt das Gefühl vermittelte, sie hockte bereits in einem Gefängnis. Als sie noch in ihrem erlernten Beruf als Floristin gearbeitet hatte, war ihre Welt ausgefüllt gewesen mit Blüten und Blättern in den unterschiedlichsten Formen und Farbnuancen. Sie hatte täglich florale Kunstwerke geschaffen, mit ihnen die Stimmung jedes Anlasses eingefangen, fröhliche Augenblicke und traurige, Hochzeitsfeiern, Taufen, Beerdigungen. Sie war kreativ gewesen, hatte Stil- und Farbempfinden gehabt. Doch Geralds Demütigungen, seine Übergriffe auf ihre Seele und ihren Körper hatten ihre Kreativität und ihre Spontanität getötet. Deswegen war ihr Dasein mit der Zeit grau geworden, sie führte ein ödes, tristes Leben, das erst durch Richards Liebe, durch seine Zärtlichkeit und sein Verständnis wieder bunt geworden war.
    »Möchten Sie, dass wir einen Arzt verständigen oder Ihre Schwester?«, fragte Michel Haila, ehe er den Inhalt des Schreibens überflog.
    Simone, die ihm den Rücken zugewandt hatte, drehte sich um, sah, dass jetzt er den weißen Briefbogen in den Händen hielt und auch, dass er die gleichen Handschuhe trug wie sein Kollege. »Nein! Bitte verständigen Sie nicht meine Schwester. Richard kommt gleich. Ich brauche keinen Arzt«, wehrte sie ab.
    »Wann wurde Ihnen der Brief zugestellt, Frau Schöllen?«, wollte Dieter wissen.
    »Er steckte heute im Briefkasten, als ich die Zeitung rausgenommen habe«, erwiderte Simone, wie gleichgültig, mit monotoner Stimme. Sie hatte erneut ihre unbequeme Stellung auf dem Sofa eingenommen, saß steif und kerzengerade, hatte die Hände gefaltet in den Schoß gelegt, die Füße parallel nebeneinander gestellt und starrte mit reglosem Gesicht nach draußen.
    »Der Umschlag ist nicht frankiert. Er wurde also nicht vom Briefträger gebracht«, sagte Dieter, ohne Simone Schöllen aus den Augen zu lassen. Mittlerweile wurde die Frau ihm unheimlich. Sie hatte bisher kaum gesprochen und keine Gefühle gezeigt. Die ganze Situation erschien ihm mehr als suspekt und ließ ihn äußerst aufmerksam und kritisch sein. »Sie sind sicher, dass der Brief gestern noch nicht im Briefkasten steckte?«
    »Ich bin mir ganz sicher, dass er gestern noch nicht dort war. Die Post wird immer mittags eingeworfen«, murmelte sie, »und die Tageszeitung bereits sehr früh am Morgen.«
    »Und wann genau haben Sie den Brief aus dem Briefkasten genommen?«
    »Heute, als ich Inga in den Kindergarten gebracht habe.«
    »Bevor Sie Inga in den Kindergarten gefahren haben oder erst danach?«
    Simone Schöllen wandte sich Dieter zu und wirkte plötzlich wie verwandelt. Ihre zuvor gezeigte Lethargie war umgeschlagen in eine übernervöse Anspannung, die sich nicht allein in ihrem Ausdruck widerspiegelte. Sie rieb sich mit den Handflächen unruhig über die Oberschenkel und wechselte rastlos immer wieder die Stellung ihrer Beine. Einen Moment später sprang sie hektisch auf, durchquerte mit zuckendem Mund, dem Weinen nahe, den Raum und lehnte sich mit dem Rücken gegen eine Schrankwand. Schluchzend, aber zornig fuhr sie Dieter an: »Wie an jedem Wochentag habe ich die Kinder gegen acht Uhr in mein Auto gesetzt, das Garagentor geöffnet, bin über die Rampe ins Freie gefahren und durch das Gartentor auf die Straße. Ich habe angehalten, die Zeitung aus dem Briefkasten genommen und den Brief gesehen. Gelesen habe ich ihn erst, als ich zurückgekommen bin.«
    »Sie holen immer zuerst die Zeitung und fahren danach die Kinder …?«
    »Nein«, unterbrach Simone laut und fügte entschieden, fast schreiend hinzu: »Nicht immer! Gerald wollte sie stets beim Frühstück lesen. Deswegen musste ich sie ihm schon sehr früh bringen.«
    »Sie haben uns erst mittags mitgeteilt, dass Sie diesen Brief erhalten haben. Warum haben Sie damit so lange gewartet, Frau Schöllen?«, fuhr Dieter ungerührt fort. »Oder haben Sie mit Herrn Wanner oder Ihrer Schwester gesprochen, ehe Sie uns anriefen?«
    Simone wurde rot und erwiderte zögernd: »Nein … mit niemandem. Ich … ich musste erst Paula zu Bett bringen. Sie braucht ihr Mittagsschläfchen. Wenn sie nicht geschlafen hat, ist mit ihr den ganzen Tag über nichts anzufangen.«
    »Ist es nicht viel zu früh

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