Der Puppenfänger (German Edition)
Trappe.
»Spaßverderber«, schlug Friedrichs zurück. »Wusste nicht, dass du so scharf auf Arbeit bist.«
»Torben, wir haben die Zeugenaussage dieser alten Dame, die vor zwei Jahren den Unfall gesehen hat. Hast du sie vorliegen?«, fragte Dieter nachdenklich. »Falls mein Erinnerungsvermögen mich nicht trügt, deckt sie sich mit dem, was in dem Schreiben über den Unfall zu lesen ist.«
»Du hast recht«, stimmte Torben zu. »Zeugenaussage und Geständnis stimmen überein.«
*
Simone hatte beschlossen, den beiden Polizisten kein zweites Mal die Gelegenheit zu geben, Paulas unbedarftes Geplapper als Waffe gegen sie einzusetzen. Darum entschied sie, erst die Kleine schlafen zu legen, ehe sie Richard anrief und anschließend die Polizei informierte. Um Paula müde zu machen, war sie sehr lange mit dem Kind spazieren gegangen. Beim anschließenden Tickfangen im Garten hatte die Kleine sich bereits nicht mehr auf ihren Beinchen halten können. Jetzt schlief Paula, und Simone war sich sicher, dass sie während des Gesprächs mit den Kriminalbeamten nicht von Kindergeplapper durcheinandergebracht werden konnte.
Das Kuvert hatte sie auf dem Glastisch in Geralds ungemütlicher Ausstellungshalle deponiert. Jetzt saß sie fast reglos auf dem Sofa, wartete auf Richard und betrachtete den Umschlag vor sich wie einen Feind, der ihr jeden Moment Böses antun würde. Den Inhalt des Briefes kannte sie auswendig, was keine besondere Leistung war. Sie war ihrem Mann vor seinem Tod lediglich wenige Wörter wert gewesen. Während ihr zum hundertsten Male Fragen durch den Kopf gingen, die ihr bisher niemand gestellt hatte, führte sie sich die mit der Maschine geschriebenen Zeilen vor Augen.
Meine liebe Simone,
obwohl es Gründe gibt, die meine Verhaltensweise zumindest erklären, kann ich keinen Weg finden, mit meiner Schuld zurechtzukommen. Deswegen werde ich diese Welt für immer verlassen. Wegen der finanziellen Dinge wendest Du Dich am besten an Ralph Snieders, der Dir auch mein Testament überreichen wird.
Verzeih mir!
Dein Gerald
Sie musste den Polizisten logische und nachvollziehbare Antworten geben, dabei ruhig und gefasst, aber nicht gleichgültig wirken. Mitentscheidend für einen möglichst glaubwürdigen Eindruck war ihre Körperhaltung. Vor allem anderen war es wichtig, Hände und Füße stillzuhalten und eine dem Anlass entsprechende Miene aufzusetzen.
Als die Türglocke ging, erhob sie sich und marschierte mit butterweichen Knien in den Korridor. Sie blieb vor dem Garderobenspiegel stehen, registrierte, dass ihr Gesicht kalkweiß war, ihre Augen riesengroß schienen und sich darunter tiefe Schatten eingefressen hatten. Zufrieden stellte sie fest, dass der Spiegel ihr exakt das Bild von sich zuwarf, das jedermann in der momentanen Situation von ihr erwarten durfte. Ganz unbestreitbar sah sie aus wie eine Ehefrau, die erst vor kurzer Zeit erfahren hatte, dass sie Witwe geworden war.
Simone hatte gehofft, Richard würde vor den Beamten eintreffen. Doch ärgerlicherweise musste sie feststellen, dass nicht er, sondern die Kriminalkommissare Fuchs und Haila vor der Tür standen. Sie schluckte ihre Enttäuschung hinunter und ging, ohne den Gruß der Männer zu erwidern, vor ihnen ins Wohnzimmer. Dort nahm sie gleich den Umschlag vom Tisch und hielt ihn Dieter entgegen. Erst als er ihr den Brief abnahm, bemerkte sie, dass er dünne Einweghandschuhe trug. Wahrscheinlich hatte er sie, von ihr unbemerkt, auf dem Weg ins Wohnzimmer übergestreift. Es war nicht ungewöhnlich, dass er seine Hände schützte, um keine Fingerabdrücke auf dem Papier zu hinterlassen, beruhigte Simone sich.
Sie setzte sich zurück auf das Sofa, beschloss, nicht weiter über diese Handschuhe nachzudenken, und blickte mit unbewegter Miene in den Garten. Irgendwann, vor sehr langer Zeit, hatte sie sich vorgenommen, dass sie, sollte sie einmal einen eigenen Garten besitzen, jeden Herbst hundert und mehr Narzissen setzen würde. Dottergelbe Narzissen waren ihre Lieblingsblumen, doch diese bescheidenen Schönheiten fühlten sich nur in der Gesellschaft ihrer Geschwister wohl. Sie brauchten einander, um ihre ganze Pracht zu entfalten und als breit gefächertes Blumenkissen auch aus der Ferne auf den Menschen zu wirken.
Geralds ständige Präsenz und Besserwisserei hatten ihr auch die Freude an dem Garten genommen. Frühlingsblüher zwischen dem frischen Grün des Rasens würden Optimismus verbreiten und die Vorfreude auf den kommenden Sommer
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